Montag, 14. Dezember 2009

Steig ab, wenn Dein Pferd tot ist!

Das ist sicherlich eine sinnvolle Empfehlung, die man im übertragenen Sinne der katholischen Kirche, ganz besonders aber ihrem erzreaktionären Kläffer, Herrn Meisner, aussprechen sollte. Dieser, der gerne einmal selbst Nazi-Terminologie verwendet, um ihm mißliebige Kunst zu schelten, verglich in seiner Predigt zum 1. November den britischen Biologen Richard Dawkins, dessen Buch "Der Gotteswahn" lange hoch in den Bestsellerlisten rangierte, mit den Nationalsozialisten:
"Ähnlich wie einst die Nationalsozialisten im einzelnen Menschen primär nur den Träger des Erbgutes seiner Rasse sahen, definiert auch der Vorreiter der neuen Gottlosen, der Engländer Richard Dawkins, den Menschen als 'Verpackung der allein wichtigen Gene', deren Erhaltung der vorrangige Zweck unseres Daseins sei"
Angesichts der schwersten und in diesem Falle selbstverständlich und intellektuell unredlichen rhetorischen Keule des allfälligen Nazivergleichs, scheint es mir, daß Meisner und seine Dachorganisation längst schon ein Rückzugsgefecht kämpfen.

Abgesehen davon, daß, selbst wenn sein Vergleich zuträfe und Dawkins und die Evolutionstheorie nach welchen Maßstäben auch immer als zutiefst unmoralisch angesehen werden müßten, dies natürlich nicht ein Iota an ihrer Richtigkeit (vgl. logische Fehlschlüsse ) änderte, zeugtMeisners aggressives Schnappen von seiner profunden Ratlosigkeit, wie der angehäuften Evidenz und den daraus zwingend folgenden Argumenten zu begegnen wäre, Ratlosigkeit erzeugt Frustration, Frustration erzeugt Zorn und Zorn solche Reden.

Dawkins, auf der anderen Seite, hat vor kurzem ein neues Buch veröffentlicht, das, anders als "Der Gotteswahn" die Religionen nicht direkt angreift, sondern in dem Dawkins die mannigfache und aus den verschiedensten Disziplinen der Naturwissenschaften stammende Evidenz für das Faktum Evolution zusammenträgt und in seiner didaktisch superben, bildreichen Prosa vorstellt und so auch einem Laienpublikum begreiflich macht. Dabei wird noch einmal und schon wieder deutlich, wie großartig die einzelnen Stücke von Evidenz aufeinander aufbauen, sich ergänzen und widerspruchslos bestätigen und völlig zwanglos die Evolutionstheorie als konkurrenzloses Erklärungsmodell für die Entwicklung der lebendigen Vielfalt zementieren.
Ließen sich viele Argumente aus "Der Gotteswahn" noch philosophisch attackieren oder zumindest zum Thema einer Debatte machen, so ist die geballte Macht der Evidenz für die Evolution, die in "The Greatest Show on Earth" hochverdichtet präsentiert und kundig erklärt wird, nur noch durch widersprechende Befunde, nicht mehr durch widersprechende Meinungen, angreifbar. Solche Befunde jedoch existieren bis heute nicht. Und genau das stellt eine kolossale Bedrohung für die Kirche oder zumindest solche ihrer Vertreter dar, die den Menschen zu einer Sonderform, einer Krönung des Lebendigen verklären wollen und dieses Bestreben durch die skeptische Wissenschaft, die eben keiner Ideologie sondern nur der Evidenz, der Wahrheit verpflichtet ist, und die eine Sonderstellung des Menschen bestreitet, gefährdet sehen.

Die Wissenschaftler, darunter auch Dawkins, machen sich natürlich keines verwerflichen Aktes, sondern allerhöchstens der Konsequenz schuldig, indem sie objektiv und unvoreingenommen von religiösen Dogmata, ihre Daten interpretieren ohne bestimmte Ergebnisse a priori (weil sie nicht sein dürfen, weil sie z.B. der verkorksten Moralvorstellung irgendeiner Religion zuwiderliefen) auszuschließen und dabei zum Schluß kommen müssen, daß die Erde keine Sonderstellung im Kosmos, der Mensch keine Sonderstellung in der Biologie einnimmt, daß sich sein Verhalten, seine Intelligenz, sein Geist nur (aus dem vermeintlich profanen Grund) entwickeln konnten, weil sie zu einem früheren Zeitpunkt einmal seine Fortpflanzungschancen verbesserten und somit von der natürlichen Selektion perpetuiert wurden. Das aber bedeutet nichts mehr, als daß der Mensch, biologisch und funktionell gesehen, tatsächlich eine Art Weiterreichapparatur für seine Gene ist, so wie jedes andere Lebewesen auch. Das ist und war schon immer Urprinzip allen Lebens und dieses Prinzip auf seine reduzierteste und erfolgreichste Form gebracht ergab das Virus, einen geistlosen und mit der Vorstellung eines gutmütigen Schöpfers nicht eben zu vereinbarenden Organismus zwischen belebter und unbelebter Materie, der nichts anderes tut und dafür phänomenal optimiert ist, als unter Inkaufnahme der Schwächung und Vernichtung eines Wirtsorganismus, gleich ob Mensch oder Insekt oder Wurm, seine Gene zu kopieren und zu verbreiten.

Und hier liegt nun das Problem: daß für eine religiös-dogmatische Lebensauffassung, wie sie in den autoritären, überlegenheitsideologischen monotheistischen Religionen notwendig ist, um die "Integrität" des ganzen Systems und den Status Quo zu erhalten, die Sonderstellung des Menschen als von einer Gottheit beabsichtigte, gewünschte und legitimierte Kreatur, eine axiomatische Voraussetzung ist. Diese Voraussetzung ist, den Befunden der Naturwissenschaft zufolge, jedoch nicht gegeben. So einfach und fundamental ist das. Meisners larmoyantes Gekreische richtet sich mithin auch nur oberflächlich gegen die Wissenschaftler, die ja nur verkünden, was die Daten aussagen, sondern es ist vielmehr ein gänzlich zweckloses, trotziges Anquaken gegen die Realität, ein Aufheulen der gequälten Kreatur, so, als wollte man durch bloßes Lamento die Flut zurückdrängen, die einem längst die Beine umspült.

Natürlich ist ein unperfekter, unbesonderer, ungewollter Mensch, der enden wird im gemeinen Staub aus dem er entsprungen, unbeweint, ungeehrt und unbesungen, und welcher zufällig auch in der Lage ist, darüber nachzudenken, ob er eine Besonderheit darstellt bzw. festzustellen, wie unbedeutend er ist, ein krasser, unerhörter Widerspruch zum biblischen (oder thoraischen oder koranischen) Märchen von einer Gottheit Ebenbild, doch sich, nur dieses arme, alte, müde Buch in Händen, gegen die Erkenntnis zu sperren, hat etwas vom Kind, daß sich die Augen zu hält und glaubt, unsichtbar zu sein.

Wir werden hier also Zeugen eines Abgesangs, der keiner sein will, gesungen von einem sich kämpferisch gebenden alten Mann, der weiß, daß er schon lange verloren hat, daß er allen Durchhalteparolen zum Trotz, auf verlorenem Posten streitet, der, sollte er je selber daran geglaubt haben, kraft seines eigenen Intellektes immer unnachgiebiger gezwungen wird, einzusehen, daß seine liebgewonnene, ihn aber zumindest ernährende Mythologie der Last der Realität schon lange nicht mehr standhält, der durch die Entthronisierung des Menschen und Infragestellung der Notwendigkeit einer Himmelsmacht zutiefst beleidigt, verletzt und in seiner Eitelkeit gekränkt ist. Verletzte Tiere setzen sich erfahrungsgemäß immer am rabiatesten und verzweifeltsten zur Wehr, mobilisieren im letzten Aufbäumen alle Reserven, ohne Rücksicht auf Verluste, Nazi-Vergleiche und intellektuelle Non-Sequiturs inbegriffen.

Es betrübt mich, daß religiöses Denken einen Geist so in Fesseln schlagen und die Auffassung von Freiheit derartig verzerren und entstellen kann, daß allein die Vorstellung eines wahrhaft freien Menschen, der seine Verantwortlichkeit gegenüber sich selbst und der Erde, die er mit allem Leben teilt und die nachhaltig zu zerstören von allen Lebewesen aber nur er gemeistert hat, eine Verantwortlichkeit also, die so viel mehr als ein "sich Untertan machen" sein sollte, nur in sich selber sucht und der für moralisches Empfinden und Handeln durch empathisches Einfühlen keines Götzen, keines Buches und keiner Drohung durch selbternannte Interpretatoren bedarf, ein so großes Schrecknis ist. Und auf eine ironische und ein wenig traurige Weise amüsiert es mich gleichermaßen, daß ausgerechnet die katholische Kirche die Chuzpe besitzt, sich noch immer, nach allem, was gewesen ist, als moralische Anstalt und Leiterin des Homo sapiens in welche Zukunft diesem auch immer beschieden sein wird, anzupreisen.