Freitag, 24. September 2010

Des Werwolfs neue Kleider...

Was ist eigentlich Theologie? Wiki sagt mir:
Theologie (gr. θεολογία theología, von θεός theós „Gott“ und -logie) bedeutet übertragen „die Lehre von Gott“ oder Göttern im allgemeinen, und im besonderen die Lehre vom Inhalt des (meist christlichen) Glaubens und den Glaubensdokumenten.
und um es noch weiter zu präzisieren
Die Endung -logie kommt vom griechischen λόγος (Transliteration: lógos), bedeutet „Wort“, aber auch „Lehre“, „Sinn“, „Rede“, „Vernunft“ und bezeichnet in der Regel die Wissenschaft zu einem Gebiet.
Es gibt hier zunächst einen Widerspruch: entweder ist Theologie die Lehre oder die Wissenschaft von "Gott". Da sich Wissenschaften im Allgemeinen mit existenten Gegenständen, zumindest aber doch solchen, deren Existenz nicht mit gutem Grund bezweifelt werden muß, befassen, wäre es wohl unvernünftig, der Theologie den Status einer Wissenschaft einzuräumen, da für die Existenz einer Gottheit bislang keinerlei Belege vorliegen und man nach Ockham demnach provisorisch davon ausgehen sollte, daß eine Gottheit gar nicht existiert. "Lehre" (oder Leere?) passt da also schon besser, denn alles, was über den hypothetischen Gegenstand der Theologie zu vermitteln wäre, ist überliefert und übernommen und nicht experimentell ermittelt oder empirisch herausgefunden worden und kann daher nur gelehrt, nicht aber erfahren, gemessen, quantifiziert, belegt, eben reproduziert werden.
Ähnliches gilt für das jeweilige Hauptdokument der Theologie der drei großen monotheistischen Religionen: Bibel, Koran, Thora. Dafür, daß es sich dabei um durch eine übernatürliche Instanz "offenbarte" Bücher handelt, gibt es keinerlei Beleg. Damit sollten sie provisorisch als ganz normale Bücher aufgefasst werden, die Gegenstand der historischen und/oder Literaturwissenschaft sein mögen.
Wozu also braucht man die Theologie? Wie kann man sie rechtfertigen? Oder, wenn sie keiner Rechtfertigung bedarf, warum gibt es dann keine Studiengänge in "Werwolfologie", "Feenkunde", "Klingonischer Philologie", "Regionalwissenschaften Auenland" etc.? (Meine Kritik richtet sich übrigens nicht gegen diejenigen, die unter dem Deckmantel der Theologie in Wirklichkeit Sozial- oder Geschichtswissenschaft, Psychologie, Ethnologie oder vergleichende Religionswissenschaft betreiben. Ich bedaure lediglich, daß sich diese Leute nicht zu ihren echten und eigentlichen Wissenschaften, deren Methoden sie schließlich einsetzen, bekennen.)
Es ist schon beschämend und weist ein weiteres Mal auf die nicht vollzogene Trennung von Staat und Kirche hin, daß an deutschen Universitäten immer noch Theologie unterrichtet und also von Steuergeldern mitfinanziert wird. Hinzukommt, daß ausgerechnet die Kirchen ein breites Mitgestaltungsrecht der Curricula, Zulassungen etc. haben.
Die Kritik an der Theologie ist natürlich auch nicht neu. Man muß dabei aber beachten, welchen Aspekt man angreift, den Gegenstand der Theologie oder die Theologie selbst. Einleuchtend ist allerdings, daß die Theologie immer nur eine passive Verteidigung in Form von Versuchen der Entkräftigung oder Widerlegung der Argumente gegen sie unternehmen kann. Es ist ihr niemals gelungen, etwas neues hervorzubringen oder zu (er)schaffen, etwa, eine Hypothese zu entwerfen, die etwas zuvor Unverstandenes erklärt und nachträglich durch Evidenz gestützt wird oder die Vorhersage von Ereignissen ermöglicht.

Manche sehen daher auch zwei "Arten" der Theologie: die 'apologetische' und die 'substantive' Theologie.
Erstere befasst sich versuchsweise mit der Frage der Realität Gottes. Ob man dort neue "Gottesbeweise" ersinnt oder tatsächlich auf der Suche nach Evidenz ist, die die Hypothese, derzufolge die jeweils gemeinte Gottheit existiert, stützt, entzieht sich meiner Kenntnis. Soweit ich jedoch weiß, sind die Erfolge dieser Disziplin bislang eher überschaubar. Bevor ich mich daher von ihr abwende, möchte den zahlreichen Apologeten, die dies hier ja sicher lesen werden, noch rasch ein Problem vorlegen, das mir aufgefallen ist und zu dem ich gerne ihre Meinung wüßte:
Es wird doch durch alle Theologie immer behauptet und zwar axiomatisch, daß die jeweilige Gottheit allmächtig, allwissend und allgütig sei. Man darf also annehmen, daß sie nicht nur weiß, was war und ist, sondern auch, was sein wird.
Gleichfalls wird stets bekräftigt, daß der Wille des Menschen frei sei (Theodizee etc.). Die Prämissen lauten demnach:
I Gott ist allmächtig, allwissend und allgütig
II Der Mensch hat einen freien Willen.


Wenn beide Prämissen gültig sein und sich nicht a priori widersprechen sollen (auch nicht logisch in sich selbst, was bei Allmacht und Allwissendheit nicht trivialerweise angenommen werden darf), so muß folgen:

Gott nimmt zwar keinen Einfluss auf die Willensbildung des Menschen (weil er allgut ist), obwohl er es könnte (allmächtig), weiß aber dennoch bereits vorher, wie sich ein Mensch entscheidet, denn er ist allwissend und kennt damit auch die Zukunft.

Wenn wir dies annehmen, ergeben sich hieraus nun zwei mögliche logische Probleme:

1. Wenn Gott wirklich vorher weiß, wie sich ein Mensch entscheidet, so sind ihm (und waren es schon immer) alle Entscheidungen und damit auch alle daraus erwachsenden Konsequenzen bereits bekannt. Daraus folgt, daß Gott schon bei der Geburt, ja bei der Zeugung eines Menschen weiß, wie dieser dereinst enden wird (z.B. in der Hölle). Wenn Gott dann aber eine solche Existenz, die er ja, wie behauptet wird, einzeln gewünscht und eigenhändig beseelt hat, zulässt, von der er doch schon bei ihrem frühesten Beginn weiß, daß sie dereinst der ewigen Verdammnis anheim fällt, so wäre er kein allguter sondern ein zynischer sadistisch-voyeuristischer Gott. Damit wäre Prämisse I nicht haltbar.

(als eher philosophisches Argument könnte man auch noch anführen, daß es durchaus nicht leicht zu beantworten ist, ob ein Wille, dessen Entscheidungen bereits lange vor ihrer Bewußtwerdung zumindest einem (und selbst, wenn das Gott ist) bekannt sind, überhaupt als frei angesehen werden könne, in welchem Falle die Prämisse II ungültig wäre...)

2. Gott weiß tatsächlich nicht vorher, wie sich ein Mensch entscheidet, kennt also die Zukunft nicht und ist damit ipso facto nicht allwissend. Auch damit wäre Prämisse I nicht haltbar.

Die Logik lehrt uns: wenn eine logisch korrekte Folgerung nicht mit der empirischen (bzw. im Falle der Religion: angenommenen) Realität vereinbar ist, so muß mindestens eine der Prämissen falsch sein.
Wenn aber Prämisse I falsch ist, so entfällt zumindest ein fundamentales Charakteristikum der Gottheit aller monotheistischen Religionen: Allwissendheit oder Allgüte. Ohne jedoch von der absoluten Gültigkeit dieser beiden Attribute auszugehen, muß jede der monotheistischen Religionen augenblicklich in sich zusammenbrechen.

Mein Frage lautet also: Und nu'?

Aber zurück zum Thema: die zweite Art der Theologie sieht einen Gott provisorisch als gegeben an und befasst sich mit den operationalen Konsequenzen, die folgten, wenn es einen Gott gäbe.
Ohne den Hauch einer Spur von Evidenz für die Existenz eines Gottes und einer ganzen Welt voll dagegen ist damit die gesamte 'substantive' Theologie eben gerade nicht substantiv sondern wohl eher der Versuch, auf einer Glatze Locken zu drehen. Die Fürsprecher der Theologie sehen die Wahrheit/Wirklichkeit also als optional und irrelevant an.
Es gibt von P.Z. Myers eine großartige Beschreibung und Ausführung zu der rhetorischen Volte, die für eine Verteidigung der Berechtigung der substantiven Theologie gerne geschlagen wird. Er nennt sie "Courtiers Reply" ("Antwort des Höflings") und sie ist eine Ableitung der Argumentation der kaiserlichen Hofschranzen aus dem Märchen "Des Kaisers neue Kleider", die voller Eifer die Schönheit von des Kaisers nicht vorhandenen Kleidern besingen und Menschen, die nicht übereinstimmen bzw. gar einwenden, der Kaiser sei in Wirklichkeit nackt, verspotten, einschüchtern und mit autoritativen Argumenten angreifen.
Demnach verbitten sich Theologen gerne die Kritik an der Theologie oder theologischen Konzepten durch Nicht-Theologen mit dem Hinweis darauf, daß der Kritiker ja nicht wisse, wovon er spreche. Beispielsweise war einer der Hauptkritikpunkte gegen Dawkins' "Gotteswahn", daß Dawkins nicht über die notwendige theologische Ausbildung verfüge, um die Theologie und ihre Konzepte anzugreifen.
Ironischerweise verstehen viele Theologie-Befürworter das Argument aus der "Antwort des Höflings" dabei falsch, indem sie es als Versuch auffassen, Atheisten davon zu entschuldigen, sich nicht mit der Theologie zu befassen. Dabei ist es nämlich genau das Gegenteil: es richtet sich gegen die Theologen und weist daraufhin, daß umfangreiches Schwadronieren über entlegene Epiphänomene und spitzfindige Auslegungen von Dogmata Zeitverschwendung ist, solange man noch nicht einmal den Kern der Sache bewältigt, nämlich auch nur einen vernünftigen Grund, an einen Gott zu glauben, vorgestellt hat.
Die Theologie erfindet und preist also des Kaisers neue Kleider, beschreibt sie in feinstem Detail, kennt jede ihrer Falten, poliert, zählt und benennt ihre Knöpfe, kämmt ihr Garn, kontempliert jeden Saum, jede Bordüre, füllt ihre Taschen mit Gold, bürstet hingebungsvoll ihren Samt und zankt gar unter sich darüber, wie man ihre Farbe nennen sollte und ob der Schneider Katholik oder Protestant war.
Die Wirklichkeit ist, im Gegensatz zu Theologie und allen Religionen, eben nicht einfach nur eine weitere Sichtweise der Welt - sie ist einfach nur die Wirklichkeit. Die Naturwissenschaft beschreibt sie und liefert dabei stetig greifbare Belege für ihre Genauigkeit und Bedeutung. Die Theologie produziert nur Entschuldigungen für das Fehlen derselben.
Im Gegensatz zum Märchen sind also die Kleider real, nur der Kaiser nicht.