Montag, 14. Dezember 2009

Steig ab, wenn Dein Pferd tot ist!

Das ist sicherlich eine sinnvolle Empfehlung, die man im übertragenen Sinne der katholischen Kirche, ganz besonders aber ihrem erzreaktionären Kläffer, Herrn Meisner, aussprechen sollte. Dieser, der gerne einmal selbst Nazi-Terminologie verwendet, um ihm mißliebige Kunst zu schelten, verglich in seiner Predigt zum 1. November den britischen Biologen Richard Dawkins, dessen Buch "Der Gotteswahn" lange hoch in den Bestsellerlisten rangierte, mit den Nationalsozialisten:
"Ähnlich wie einst die Nationalsozialisten im einzelnen Menschen primär nur den Träger des Erbgutes seiner Rasse sahen, definiert auch der Vorreiter der neuen Gottlosen, der Engländer Richard Dawkins, den Menschen als 'Verpackung der allein wichtigen Gene', deren Erhaltung der vorrangige Zweck unseres Daseins sei"
Angesichts der schwersten und in diesem Falle selbstverständlich und intellektuell unredlichen rhetorischen Keule des allfälligen Nazivergleichs, scheint es mir, daß Meisner und seine Dachorganisation längst schon ein Rückzugsgefecht kämpfen.

Abgesehen davon, daß, selbst wenn sein Vergleich zuträfe und Dawkins und die Evolutionstheorie nach welchen Maßstäben auch immer als zutiefst unmoralisch angesehen werden müßten, dies natürlich nicht ein Iota an ihrer Richtigkeit (vgl. logische Fehlschlüsse ) änderte, zeugtMeisners aggressives Schnappen von seiner profunden Ratlosigkeit, wie der angehäuften Evidenz und den daraus zwingend folgenden Argumenten zu begegnen wäre, Ratlosigkeit erzeugt Frustration, Frustration erzeugt Zorn und Zorn solche Reden.

Dawkins, auf der anderen Seite, hat vor kurzem ein neues Buch veröffentlicht, das, anders als "Der Gotteswahn" die Religionen nicht direkt angreift, sondern in dem Dawkins die mannigfache und aus den verschiedensten Disziplinen der Naturwissenschaften stammende Evidenz für das Faktum Evolution zusammenträgt und in seiner didaktisch superben, bildreichen Prosa vorstellt und so auch einem Laienpublikum begreiflich macht. Dabei wird noch einmal und schon wieder deutlich, wie großartig die einzelnen Stücke von Evidenz aufeinander aufbauen, sich ergänzen und widerspruchslos bestätigen und völlig zwanglos die Evolutionstheorie als konkurrenzloses Erklärungsmodell für die Entwicklung der lebendigen Vielfalt zementieren.
Ließen sich viele Argumente aus "Der Gotteswahn" noch philosophisch attackieren oder zumindest zum Thema einer Debatte machen, so ist die geballte Macht der Evidenz für die Evolution, die in "The Greatest Show on Earth" hochverdichtet präsentiert und kundig erklärt wird, nur noch durch widersprechende Befunde, nicht mehr durch widersprechende Meinungen, angreifbar. Solche Befunde jedoch existieren bis heute nicht. Und genau das stellt eine kolossale Bedrohung für die Kirche oder zumindest solche ihrer Vertreter dar, die den Menschen zu einer Sonderform, einer Krönung des Lebendigen verklären wollen und dieses Bestreben durch die skeptische Wissenschaft, die eben keiner Ideologie sondern nur der Evidenz, der Wahrheit verpflichtet ist, und die eine Sonderstellung des Menschen bestreitet, gefährdet sehen.

Die Wissenschaftler, darunter auch Dawkins, machen sich natürlich keines verwerflichen Aktes, sondern allerhöchstens der Konsequenz schuldig, indem sie objektiv und unvoreingenommen von religiösen Dogmata, ihre Daten interpretieren ohne bestimmte Ergebnisse a priori (weil sie nicht sein dürfen, weil sie z.B. der verkorksten Moralvorstellung irgendeiner Religion zuwiderliefen) auszuschließen und dabei zum Schluß kommen müssen, daß die Erde keine Sonderstellung im Kosmos, der Mensch keine Sonderstellung in der Biologie einnimmt, daß sich sein Verhalten, seine Intelligenz, sein Geist nur (aus dem vermeintlich profanen Grund) entwickeln konnten, weil sie zu einem früheren Zeitpunkt einmal seine Fortpflanzungschancen verbesserten und somit von der natürlichen Selektion perpetuiert wurden. Das aber bedeutet nichts mehr, als daß der Mensch, biologisch und funktionell gesehen, tatsächlich eine Art Weiterreichapparatur für seine Gene ist, so wie jedes andere Lebewesen auch. Das ist und war schon immer Urprinzip allen Lebens und dieses Prinzip auf seine reduzierteste und erfolgreichste Form gebracht ergab das Virus, einen geistlosen und mit der Vorstellung eines gutmütigen Schöpfers nicht eben zu vereinbarenden Organismus zwischen belebter und unbelebter Materie, der nichts anderes tut und dafür phänomenal optimiert ist, als unter Inkaufnahme der Schwächung und Vernichtung eines Wirtsorganismus, gleich ob Mensch oder Insekt oder Wurm, seine Gene zu kopieren und zu verbreiten.

Und hier liegt nun das Problem: daß für eine religiös-dogmatische Lebensauffassung, wie sie in den autoritären, überlegenheitsideologischen monotheistischen Religionen notwendig ist, um die "Integrität" des ganzen Systems und den Status Quo zu erhalten, die Sonderstellung des Menschen als von einer Gottheit beabsichtigte, gewünschte und legitimierte Kreatur, eine axiomatische Voraussetzung ist. Diese Voraussetzung ist, den Befunden der Naturwissenschaft zufolge, jedoch nicht gegeben. So einfach und fundamental ist das. Meisners larmoyantes Gekreische richtet sich mithin auch nur oberflächlich gegen die Wissenschaftler, die ja nur verkünden, was die Daten aussagen, sondern es ist vielmehr ein gänzlich zweckloses, trotziges Anquaken gegen die Realität, ein Aufheulen der gequälten Kreatur, so, als wollte man durch bloßes Lamento die Flut zurückdrängen, die einem längst die Beine umspült.

Natürlich ist ein unperfekter, unbesonderer, ungewollter Mensch, der enden wird im gemeinen Staub aus dem er entsprungen, unbeweint, ungeehrt und unbesungen, und welcher zufällig auch in der Lage ist, darüber nachzudenken, ob er eine Besonderheit darstellt bzw. festzustellen, wie unbedeutend er ist, ein krasser, unerhörter Widerspruch zum biblischen (oder thoraischen oder koranischen) Märchen von einer Gottheit Ebenbild, doch sich, nur dieses arme, alte, müde Buch in Händen, gegen die Erkenntnis zu sperren, hat etwas vom Kind, daß sich die Augen zu hält und glaubt, unsichtbar zu sein.

Wir werden hier also Zeugen eines Abgesangs, der keiner sein will, gesungen von einem sich kämpferisch gebenden alten Mann, der weiß, daß er schon lange verloren hat, daß er allen Durchhalteparolen zum Trotz, auf verlorenem Posten streitet, der, sollte er je selber daran geglaubt haben, kraft seines eigenen Intellektes immer unnachgiebiger gezwungen wird, einzusehen, daß seine liebgewonnene, ihn aber zumindest ernährende Mythologie der Last der Realität schon lange nicht mehr standhält, der durch die Entthronisierung des Menschen und Infragestellung der Notwendigkeit einer Himmelsmacht zutiefst beleidigt, verletzt und in seiner Eitelkeit gekränkt ist. Verletzte Tiere setzen sich erfahrungsgemäß immer am rabiatesten und verzweifeltsten zur Wehr, mobilisieren im letzten Aufbäumen alle Reserven, ohne Rücksicht auf Verluste, Nazi-Vergleiche und intellektuelle Non-Sequiturs inbegriffen.

Es betrübt mich, daß religiöses Denken einen Geist so in Fesseln schlagen und die Auffassung von Freiheit derartig verzerren und entstellen kann, daß allein die Vorstellung eines wahrhaft freien Menschen, der seine Verantwortlichkeit gegenüber sich selbst und der Erde, die er mit allem Leben teilt und die nachhaltig zu zerstören von allen Lebewesen aber nur er gemeistert hat, eine Verantwortlichkeit also, die so viel mehr als ein "sich Untertan machen" sein sollte, nur in sich selber sucht und der für moralisches Empfinden und Handeln durch empathisches Einfühlen keines Götzen, keines Buches und keiner Drohung durch selbternannte Interpretatoren bedarf, ein so großes Schrecknis ist. Und auf eine ironische und ein wenig traurige Weise amüsiert es mich gleichermaßen, daß ausgerechnet die katholische Kirche die Chuzpe besitzt, sich noch immer, nach allem, was gewesen ist, als moralische Anstalt und Leiterin des Homo sapiens in welche Zukunft diesem auch immer beschieden sein wird, anzupreisen.

Donnerstag, 15. Oktober 2009

Ab wann ist es ein Mensch?

An dieser Frage entzünden sich die meisten Konflikte zum Thema Abtreibung. In den meisten Fällen sind die Gegner der Abtreibung und des Rechtes darauf, religiös motiviert. Die jeweiligen Religionsoberhäupter haben entschieden, daß Abtreibung etwas schlechtes sei, weil es sich dabei um die Tötung eines Menschen handle, einer vollwertigen Person, die bereits Anspruch auf alle Menschenrechte habe. In extremen Fällen wird auch schwerste psychische Belastung (z.B. nach Vergewaltigung) und sogar der Tod der Mutter billigend in Kauf genommen, wenn dies der Preis für die Unterlassung einer Abtreibung ist. Was das über die Haltung der Religionen zum Wert und zu den Rechten der Frauen verrät und welche Geisteshaltung man besitzen muß, um tatsächlich Leben gegeneinander aufzuwiegen und den Tod einer gesunden, lebenden Frau nicht nur hinzunehmen, sondern, nachdem sie ihre Schuldigkeit als Gebärorganismus getan hat, zu verlangen, indem man darauf besteht, das geschehen zu lassen, was ihn unweigerlich herbeiführen würde, will ich hier jetzt gar nicht diskutieren.

Ich frage mich aber, auf Grundlage wessen die Religionen behaupten und so vehement vertreten, daß das vollwertige, mit allen Rechten, die bereits geborene Personen genießen, ausgestattete Leben ausgerechnet im Moment der Befruchtung beginnt. Es gibt keine Bibelstelle, die das nahelegt, da das Konzept der Zygote zum Zeitpunkt der Niederlegung dieses "Werks" wohl noch nicht bekannt gewesen sein dürfte. Soweit ich weiß, operieren die Religionen an dieser Stelle mit dem Terminus "Seele" oder "Beseelung" und behaupten einfach, die "Beseelung" der Zygote geschehe im Moment der Befruchtung und danach sei ja eine Seele und damit ein Mensch vorhanden. Das Problem ist natürlich das der Nachweisbarkeit. Die Seele ist ein abstraktes Konzept ohne jede meßbare physikalische Eigenschaft und die Nachweispflicht liegt bei den Urhebern der Behauptung.
Was aber diese Leute verlangen, wie gesagt, aufgrund einer selbst für sich in Anspruch genommenen Autorität als "gesetzliche Vertreter" ihrer jeweils angenommenen Gottheit, ist, daß auf Grundlage ihrer evidenzlos erlangten und für allgültig erklärten Bewertung, daß die Befruchtung der Augenblick der Beseelung, und damit der Menschwerdung sei, lebendigen Frauen das Recht abgesprochen wird, über ihren Körper und ihr Wohlergehen zu verfügen.
Übrigens und natürlich unabhängig davon, was die betroffene Frau glaubt. Das aber entmündigt Frauen und setzt sie in dieser Hinsicht auf die Stufe von Nutzvieh, indem über ihre Körper verfügt und sie zur vollständigen Austragung, gleich auf welche Weise die Schwangerschaft zustande kam, gezwungen werden sollen. Es ist unrecht, es ist falsch, es ist schändlich.

Ein für mich sehr viel besser handhabbares Konzept des Menschen ist das des Bewußtseins. Einen Menschen macht in meinen Augen sein Bewußtsein, seine Entwicklung, seine Persönlichkeit, sein Wesen und sein Charakter aus. Ein Mensch, der eine Gliedmaße verliert, ist also nicht weniger menschlich. Ein Mensch, dessen Persönlichkeit und Geist erlischt, wie z.B. bei Morbus Alzheimer, ist viel schwieriger zu betrachten, wenn man und selbst engste Angehörige ihn nicht wiedererkennen können, weil alles, außer der leiblichen Hülle, was ihnen an ihm vertraut, liebenswert, charakteristisch und individuell erschienen war, verschwunden ist. Das ist ein Grund, warum viele Menschen bei der Diagnose Alzheimer an Selbstmord denken - sie wissen, daß die Krankheit sie körperlich kaum beeinträchtigen, sie aber dennoch komplett auslöschen wird. Das Gesetzbuch trägt dem insofern Rechnung, als fortgeschritten dementen Menschen ein Großteil ihrer Rechte abgesprochen wird: sie werden entmündigt.
Wenn man diese Auffassung von Menschlichkeit auf das intrauterine Leben anwendet, würden ethische Bedenken gegen eine Abtreibung erst dann sinnvoll sein, wenn sich ein Bewußtsein entwickelt hat. Dieser Zeitpunkt ist extrem schwer festzustellen und auf ein morphologisches Korrelat zu beziehen, ich meine aber, es ist immer erstrebenswert und gemäß einem empathischen Einvernehmen mit allem Leben, einen Zeitpunkt zu wählen, zu dem der Embryo bzw. Fötus (nach der 9. SW) noch keinen Schmerz empfinden kann. Schmerzwahrnehmung erfordert Rezeptoren, die Schmerzreize z.B. durch Verletzungen in Nervenimpulse umwandeln, leitfähige Nervenbahnen und ein Hirn oder eine Vorform davon, die die angelieferten Nervenimpulse verarbeiten und in eine unangenehme oder peinigende Empfindung translatieren kann. Aber wann ist es soweit? Ab der 8. Woche nach der Befruchtung können durch Reizung motorische Reflexbewegungen beim Noch-Embryo ausgelöst werden. Bewusste Reaktionen oder Wahrnehmungen des Fötus (z.B. Schmerzempfindungen) sind aber nicht vor der 22. Woche möglich, da die Hirnrinde des Fötus' noch nicht funktionsfähig ist. Bis zu diesem Zeitpunkt sind auch noch keine regelmässigen Hirnströme festzustellen. Das 3-monatige Zeitfenster, in dem Abtreibungen bei uns auch ohne zwingende medizinische Indikation möglich sind, ist also mehr als vorsichtig gewählt, gewährleistet sehr sicher, daß eine Abtreibung beim Fötus keinerlei Schmerz oder Leid hervorruft und braucht und sollte keinesfalls verkleinert werden. Diese Auffassung beruht, wie immer, auf evidenzgestützter wissenschaftlicher Forschung (kursiv markiert unter "Referenzen" ist ein Übersichtsartikel der eine Auswertung multidisziplinärer Evidenz enthält und zum oben beschriebenen Schluß kommt) und nicht dem mit klerikal-anmaßender Basta!-Rhetorik ausgestatteten, höchst zynischen und ideologischen "Pro Life"-Dogmatismus.
Randnotiz: Besonders ironisch und für die ideologische und eben nicht faktenorientierte Einstellung typisch finde ich, daß die allermeisten "Pro Life"-Anhänger aktive Befürworter der Todesstrafe sind. Die gesamte "Pro Life"-Argumentation erhält dadurch eine zutiefst fragwürdige Schuld/Unschuld-Färbung und offenbart eine zynische Willkür und Subjektivität, deren Galleonsfigur passenderweise G.W. Bush war.

Meine Meinung und mein ethisches Empfinden ist: Niemand hat das Recht, anderen Menschen vermeidbares Leid zuzumuten: Eine Frau darf demnach nicht gezwungen, auch nicht genötigt werden, eine unerwünschte Geburt körperlich und ggf. das Dasein gegen ihren Willen mit einem behinderten Kind psychisch zu erleiden, einem Kind darf nicht, weil seine Geburt trotz besseren Wissens erzwungen wurde, die Qual zugemutet werden, an einer schrecklichen und grausam schmerzhaften Erbkrankheit, deren sicher tödlicher Verlauf unvermeidbar ist, wie z.B. Morbus Krabbe, zu leiden, wenn man ihm dies ersparen kann.
Die Zubilligung von mündigen Entscheidungen über den eigenen Körper und einem Leben ohne vermeidbares Leid ist aber ein für viele Religionen existenzbedrohendes Konzept und deshalb werden wohl Frauen, solange es diese Religionen gibt und je nachdem, wo sie das Pech haben, zu leben, gegen ihren Willen und gegen jede Notwendigkeit zu leiden, zu gebären und zu sterben haben...


Referenzen:
- Derbyshire SWG "Fetal pain - a look at the evidence". American Pain Society Bulletin, 13:1-12, 2003
- Derbyshire SWG."Can fetuses feel pain?". Brit.Med.Journal, 332:909-912, 2006
- Fitzgerald M. "Foetal pain: an update of current scientific knowledge. A paper for the Department of Health". London, Mai 1995
- Gardner C. "Is an Embryo a Person?". The Nation 249:557-559, 1989
- Grobstein C. "Science and the Unborn: Choosing Human Futures". New York: Basic, 1988
- Hall E. "When Does Life Begin? An Embryologist Looks at the Abortion Debate". Psychology Today 23:42-46, 1989
- Lee S.J. et al. "Fetal Pain - A Systematic Mulidisciplinary Review of the Evidence". JAMA 294:947-954, 2005
- Lloyd-Thomas AR., Fitzgerald M. "Reflex responses do not necessarily signify pain". British Medical Journal 313:797-798, 1996
- Sass H.-M. "Wann beginnt das Leben?" Die Zeit, 30.11.90, S. 1044

Freitag, 9. Oktober 2009

Eine Impfung gegen Ignoranz

wäre sicher eine sinnvolle Sache und würde, indirekt zwar, genau wie andere Impfungen Leben retten. Schon seit Jahren macht sich eine besorgniserrgende Tendenz zur Impfverweigerung bemerkbar: Eltern lassen ihre Kinder nicht mehr gegen die klassischen Kinderkrankheiten impfen, was mittlerweile bereits dazu geführt hat, daß jetzt, im Jahr 2009, wieder Kinder an den seltenen und völlig vermeidbaren Komplikationen von z.B. Masern sterben müssen.
Dabei ist die Erfindung der Impfung, also der aktiven Immunisierung gegen erregerbedingte Krankheiten, eine der größten Errungenschaften der modernen, evidenzbasierten Medizin und dürfte ungezählte Millionen Menschenleben gerettet haben. Nur durch eine weltweite und energisch betriebene Impfkampagne gelang es z.B., eine wirkliche Geissel der Menschheit, die Pocken, vollständig auszurotten, einer der wichtigsten und beeindruckendsten Erfolge der Medizingeschichte. Und es ist auch nur den flächendeckenden Kinderimpfungen zu verdanken, daß Krankheiten wie Kinderlähmung, Diphterie und Mumps so gut wie kaum noch auftreten und tödliche Verläufe höchst selten geworden sind.
Was also treibt moderne Menschen, Mütter von Kindern im Jahr 2009 dazu, nun wieder auf Impfungen zu verzichten und sie bewußt ihren Kindern vorzuenthalten, ja, noch bizarrer, sog."exposure parties" oder "pox parties" zu veranstalten, auf denen infizierte Kinder andere, gesunde Kinder anstecken sollen, damit diese endlich die Gelegenheit erhalten, krank zu werden und "auf natürliche Weise" die Krankheit zu durchleben und Immunität zu entwickeln?!?
Ich kann es mir nur so erklären: Zuerst spielt sicherlich die bestürzende allgemeine wissenschaftliche Illiteralität eine Rolle, die viele Menschen außerstande setzt, zu verstehen, was eine Impfung überhaupt ist, wie sie wirkt und warum es auch epidemiologisch so wichtig ist, an Impfungen teilzunehmen. Zudem entmündigt sie die Menschen insofern, als sie nicht mehr in der Lage sind, Informationen souverän gegeneinander abzuwägen und auf Wissenschaftlichkeit zu prüfen und so den medizinischen Ratschlägen in Regenbogenpresse, Bäckerblume, Bild und Express genausoviel Wert, Berechtigung und Richtigkeit zumessen, wie denen von Ärzten oder Wissenschaftlern. Diese wissenschaftliche Unbildung verundankt sich meiner Meinung nach zum einen einem unzureichenden Wissenschaftsjournalismus, der in Deutschland zu oberflächlich, desinteressiert, schlecht ausgestattet und tendenziös betrieben wird, an dem aber auch die häufig nicht gut ausgebildete Fähigkeit der Wissenschaftler, ihre Ergebnisse auf allgemeinverständliche und anschauliche Weise zu kommunizieren, zweifellos ihren Anteil hat, und zum anderern einer immer stärker sich verflachenden Kultur des Intellekts, im Dunstkreise von deren Daheinscheiden es salonfähig geworden ist, Anti-Intellektualität, mutwillige Ignoranz und Unwissenheit sowie Indifferenz gegenüber einer auf Evidenz beruhenden Faktenlage, als normal und cool zu empfinden und gar zur Tugend zu verklären. Dieses Desinteresse reduziert natürlich auch die Nachfrage nach wissenschaftlicher Berichterstattung, deren mangelnde Qualität - circulus vitiosus - wiederum kein neues Interesse anzufachen vermag und die Marktregulation vermöge der Einschaltquoten tut dann für die Programmgestaltung ihr übriges. Hinzu kommt, jedenfalls meine ich, das beobachten zu können, eine stetig abnehmende allgemeine Fähigkeit und Bereitschaft zu kritischem Denken und Skeptizismus wofür in gleichem Maße die Neigung zu magischem Denken und die Vulnerabilität für esoterische Phänomenologie zuzunehmen scheint.
Die aktuell sich verschlechternde Impfmoral wäre damit nur ein Symptom dieses komplexen und äußerst bedenklichen Grundproblems und in der Tat finden sich in der heutigen (Populär-)Kultur zahlreiche andere Beispiele von einerseits Gut- und Wundergläubigkeit und andererseits esoterisch motivierter Wissenschaftsskepsis, die auf den oben beschriebenen Komplex von Wechselwirkungen zurückzuführen sind. Man führe sich als Beispiele hierfür den großen Zuspruch der Astrologie, Wahrsagerei, Homöopathie und diverser anderer mystischer New-Age-Folklore vor Augen.

Diese Problematik hat letzthin den Boden bereitet für eine paranoiden und völlig absurden Entwicklung: der offizielle Grund, aus dem nun viele Menschen ihren Kindern Impfungen, insbesondere die Kombinationsimpfung gegen Masern, Mumps und Röteln, vorenthalten, lautet tatsächlich, daß sie befürchten, diese Impfungen riefen Autismus hervor. Der Auslöser hierfür war eine 1998 zwar in der renommierten Zeitschrift "The Lancet" veröffentlichte aber bereits 2004 von den Mitautoren zurückgezogene Studie, die vorgab diesen Zusammenhang an 12 Kindern aufgezeigt zu haben. (Die Arbeit war zurückgezogen worden, nachdem bekannt geworden war, daß der Hauptautor, Andrew Wakefield, die Daten gefälscht und dafür Geld von Anwälten, die Eltern von von Autismus betroffenen Kinder vertraten, erhalten hatte.) Es gibt demnach absolut keinerlei wissenschaftliche Evidenz für einen Zusammenhang zwischen Impfstoffen und der Enstehung von Autismus, im Gegenteil, es wurde das Nicht-Bestehen eines Zusammenhangs in zahlreichen unabhängigen Arbeiten immer wieder gezeigt. Dennoch ermöglicht es die allgemeine wissenschaftsskeptische und sensationslüserne Unkultur, vor dem Hintergrund der oben geschilderten Grundproblematik, daß sich solcher Unfug wie eine Infektion, gegen die es leider keinen Impfstoff außer Bildung gibt, verbreitet, trotz ihrer hundertfachen, eindeutigen Widerlegung hartnäckig persistiert und mittlerweile dazu geführt hat, eine neue und aus rationaler Sicht vollständig absurde und noch dazu gefährliche und leider ja bereits mit ersten Todesopfern "prämierte" Impfskepsis hervorzurufen, die den Kampf gegen beispielsweise die Masern und den Versuch, auch diese Krankheit, die in seltenen, nun aber schon wieder häufiger beobachteten Fällen lebensbedrohende Komplikationen (Roald Dahl schildert, wie seine Tochter daran starb) entwickeln kann, zu eradizieren, weit zurückwerfen.

Ich finde es irgendwie ironisch, daß die ebenfalls verpönte und mißtrauisch beäugte Aneignung und Ausübung einer wissenschaftlichen und evidenzbasierten Weltsicht gewissermaßen genau die "Impfung" darstellt, die die Menschen immun gegen all diesen Humbug machen und ihnen all den Schaden und das Leid, das ihnen geschieht, wenn sie sich darauf einlassen, ersparen würde. Ich schließe daher ein wenig resigniert mit einem Zitat Roald Dahls, der seine Tochter an eine Krankheit verlor, die heute vielleicht schon ausgerottet sein könnte, wenn wir nicht in einer Zeit leben würden, in der sich schon wieder erste Anzeichen der Abklärung, des "Wiedereingangs in die selbstverschuldete Unmündigkeit" schmerzhaft bemerkbar machen:
"It really is almost a crime to allow your child to go unimmunised"
(Deutsch: "Es ist wirklich fast ein Verbrechen, zu dulden, daß das eigene Kind nicht geimpft ist.")

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Trauriger Nachtrag: 7o Kinder in Zimbabwe sind vollkommen sinnlos und vermeidbar an den Masern gestorben. Bezeichnenderweise stammten die Kinder aus apostolischen Sekten, die Imfpungen aus Glaubensgründen ablehnen! Wie viele müssen noch sterben, bis endlich etwas unternommen wird? Religion fördert und schätzt Ignoranz und Ignoranz tötet.

Nicht überraschender Nachtrag: Wie sich nun herausgestellt hat,  war die Studie von Andrew Wakefield nicht nur minderwertig und handwerklich schlecht, sondern glatter Betrug! Wer noch immer diese Studie heranzieht, um Impfskepsis zu begründen, sollte bestraft werden!

Dienstag, 16. Juni 2009

Brief an meine Tochter

Liebe Leonora,

leider gibt es Dich noch gar nicht, aber wenn es Dich schon geben würde, würdest Du vielleicht so heißen, nach einer Figur aus den Gedichten von Edgar Allan Poe.
Ich möchte Dir aber doch schon heute einen Brief schreiben, um Dir zu erzählen, was ich über Frauen weiß und was vielleicht auf Dich zukommt, weil Du eine Frau werden wirst.
Ich kann Dir leider nicht versprechen, daß man Dich gleich gut behandeln wird, wie einen Mann, es könnte sein, daß Du weniger verdienen wirst für die gleiche Arbeit, daß Dir Chancen nicht gegeben werden, nur, weil Du eine Frau bist. Es ist traurig, aber es ist wahr. Das Gesetz gewährt uns zwar allen gleiche Rechte und Chancen und mißt allen Menschen den gleichen Wert zu, aber wie so oft sind Gesetze ideal und Menschen, die sie nicht achten, unideal aber real. Es muß ja wohl an der Unterschieden zwischen Männern und Frauen liegen, daß die einen benachteiligt werden, oder? Ich habe oft über diese Unterschiede zwischen den Geschlechtern nachgedacht und nicht nur ich allein, denn aus diesen, offenbar auf die unterschiedlichsten Weisen wahrgenommenen Unterschieden lassen sich immer noch Kabarettprogramme, Ratgeberbücher, dumme Sprüche und Klischees, Manifeste und mehr oder weniger gute Romane und Filme machen und alle diese finden auch immer noch ihr Publikum. Heißt das nun, daß diese Unterschiede wirklich so groß oder bedeutend sind, oder daß nur mittlerweile die meisten glauben, es wäre so und in der karikaturhaften Darstellung und komödiantischen Verwurstung derselben eine Bestätigung und Anregung sehen, diese Unterschiede geradezu zu suchen, mit ihnen zu kokettieren und sie vielleicht sogar stärker an sich selber zu betonen, als sie es sonst tun würden? Ich weiß es nicht, bin aber gespannt, zu erfahren, wie Du das eines Tages sehen wirst. Was ich weiß, ist, daß Frauen und Männer nicht gleich sind und ich finde, man sollte sie nicht gleich zu machen versuchen. Biologisch Sie sind nämlich und natürlich verschieden und gerade ihre Verschiedenheit ist oft Grundlage dafür, daß sie sich anziehen. Selbstverständlich sind Männer und Frauen aber gleich viel wert, waren es immer und hätten einander immer so behandeln sollen. Leider wurden Frauen die längste Zeit und werden auch heute noch an vielen Orten schlecht behandelt, unterdrückt, klein, dumm und fern von Bildung gehalten, als minderwertig, unzulänglich, unwichtig und unberechtigt angesehen und sogar verstümmelt - und zwar von Männern. Noch schlimmer und zynischer aber ist, daß das dazu geführt hat, daß viele Frauen diese Haltung zu ihrem eigenen Geschlecht übernommen haben, weil sie nie eine Alternative kennengelernt und vom kritischen Denken mutwillig abgehalten wurden und manche Frauen denken heute noch so. Das ist eine große Schande, eine schlimme, entwürdigende Entstellung im Antlitz der Menschheit und ich finde es unerträglich! Es besorgt mich ein wenig, daß ich Dich eines Tages in diese Welt werde ziehen lassen müssen; ich kann Dir nur versprechen, daß ich alles tun werde, um zu verhindern, daß Dir so etwas passiert. Ich werde Dich lehren, Dir niemals wegen Deines Geschlechts irgendetwas nicht zuzutrauen oder Demut zu empfinden oder eine Rolle zuweisen zu lassen, die Du nicht ausfüllen willst.
Oft habe ich mich gefragt, wie die Welt heute aussehen würde, wenn zu allen Zeiten die Frauen den gleichen Anteil, das gleiche Ansehen und die gleichen Möglichkeiten in Politik, Wissenschaft, Kunst, Literatur, Philosophie und, ja, der Gestaltung der Welt und dem Fortkommen der Menschheit gehabt hätten. Meistens macht mich allein der Versuch, mir diese Frage zu beantworten, so wehmütig, daß ich gleich wieder damit aufhöre. Ich bin kein Freund allzu märchenhafter Eutopien, aber ich glaube fest, die Menschheit wäre viel weiter und diese Welt wäre ein besserer, gerechterer und schönerer Ort - für alle.

Leider kann ich Dir nicht erklären, warum es den Frauen so lange so schlecht gehen mußte. Ich verstehe es wirklich nicht. Wie hat Mann das rechtfertigt? Kann es wirklich sein, daß allein die höhere Körperkraft der Männer als Argument pro toto herangezogen wurde, die Frauen als "schwach" und zwar in jeder Hinsicht zu brandmarken? Wieso hatte es damit nicht ein Ende, sobald Gesellschaften entstanden waren, die sich selbst Gesetze gaben, die dafür sorgten, daß Körperkraft allein zur Durchsetzung des Willens nicht mehr geduldet wurde, die also das Recht des Stärkeren abschafften? Vielleicht kannst Du es mir eines Tages erklären, falls Du Soziologin oder Historikerin wirst. Oder Psychologin - denn es könnte doch auch sein, daß der Grund mit einem tief empfundenen Mißtrauen oder auch Neid auf die Fähigkeit der Frauen, Kinder zu gebären, zu tun hat und der Mann die Notwendigkeit empfunden hat, diese sicher lange als mystisch empfundene "Gabe", die er selbst nie erlangen kann, zu kontrollieren, indem er die Frau kontrolliert, was bedeutet: unterwirft.
Was immer der Grund war oder ist, er war nie und ist heute erst recht nicht zu akzeptieren und nichts anderes wirst Du von mir erfahren.
Die Religion hat übrigens auch keine gute Rolle für Euch Frauen gespielt. Das ist ein wichtiger von allerdings zahlreichen Gründen, warum Du ohne Religion aufwachsen wirst. Alle großen Weltreligionen verachten und unterdrücken die Frauen, die Hälfte aller Menschen. Sie schreiben ihnen die schlimmsten Eigenschaften zu, versächlichen sie und ordnen sie dem Manne unter. Sie gehen davon aus, daß dies im Sinne ihrer jeweiligen Gottheiten sei und belegen es mit ihren jeweiligen, von Männern also Menschen verfassten Schriften. Ich halte Dich davon fern, Du wirst vor keinem niederträchtigen Götzen das Knie beugen und Dich gleichsam immer wieder und ohne Hoffnung auf Vergebung für Dein Geschlecht entschuldigen oder schämen. Wenn Du Dich aber doch eines Tages, wenn Du erwachsen sein wirst, entscheidest, einer Religion anzugehören, wirst Du dies aus freien Stücken tun können und vielleicht obwohl Du weißt und verstehst, wie diese Religion die Frauen betrachtet und behandelt.
Was mir Mut macht und Dir hoffentlich auch, ist, daß Du es weniger schwer haben wirst, als andere Frauen vor Dir, daß Du davon profitieren kannst, daß es unermüdlichen Frauen gelungen ist, all die selbstverständlichen Dinge und Rechte für Euch zu erstreiten. Dahinter wird es, solange es freiheitliche und säkulare (!) Demokratien gibt, auch glücklicherweise kein Zurück mehr geben. Es wird ohnehin immer schwerer, auf Frauen und ihre Leistungsfähigkeit in allen Bereichen zu verzichten und Du wirst Dir, so hoffe ich, aussuchen können, welchen Beruf Du ausüben wirst. Dennoch wirst Du in den Köpfen und im Verhalten der Menschen (meist Männer, manchesmal auch Frauen) bisweilen auf Reste der alten Vorstellungen treffen. Wenn das passiert und man Dir dadurch etwas verbauen, vorenthalten oder vorschreiben will, so wehre Dich! Es ist Dein Recht gegenüber den Männern und Deine Pflicht gegenüber den Frauen.
Ach ja, ich wollte Dir ja noch erzählen, was ich über Frauen weiß. Ich will ehrlich sein, mich an Sokrates halten und sagen: ich weiß, daß ich nichts weiß. Nichts, was irgendjemand über Frauen zu wissen behauptet, gilt für alle Frauen. Klischees gibt es in rauhen Mengen und sie sind fast alle blöd und langweilig. Selbst, wenn ich sage, daß ich Frauen toll finde, ist das irgendwie nicht richtig. Ich finde nicht alle Frauen toll und ich sollte auch niemanden nur deshalb mögen, weil sie eine Frau ist. Allerdings glaube ich auch nicht, etwas über jemanden zu wissen, weil sie eine Frau ist. Ich gehe aber dennoch davon aus, daß Frauen Respekt schätzen und zwar, weil Menschen Respekt schätzen. Mann kann also wohl nichts falsch damit machen, erst einmal Respekt für eine Frau aufzubringen - das gilt übrigens auch für Frauen selbst, wenn sie anderen Frauen begegnen, denk' daran! Wenn man das aber tut, verbietet sich im gleichen Zuge natürlich ein Verhalten, das auf den alten Klischees beruht, selbst dann, wenn man herausfindet, daß die Frau, der man gegenübersteht, noch daran glaubt.
Wir fragen mal zusammen Deine Mutter, wie sie sich als Frau fühlt, aber letztlich mußt Du ganz allein herausfinden, was es bedeutet, eine Frau zu sein, ob es überhaupt etwas bedeutet und ob es für Dich etwas besonderes ist. Ich wünsche mir nur, daß es niemals eine Last für Dich sein wird, eine Frau zu sein (immerhin hast Du Dein Geschlecht von mir), und ich würde mich freuen, wenn Du Dir niemals wünschen wirst, ein Mann zu sein, aber auch nie gezwungen sein wirst, Männer zu hassen. Einige sind es wert, Geduld mit ihnen zu haben...

Laß' Dich niemals entmutigen, von niemandem.

In Liebe,
Dein Vater

Montag, 25. Mai 2009

4 Milliarden Jahre und danach die Evolution

Eine besonders für Biologen nervige, lästige aber auch ärgerliche Pseudowissenschaft stellt der Kreationismus dar, sei es in Form des kaum gefilterten biblischen Schöpfungsmythos oder in der besser maskierten und doch völlig unwissenschaftlichen Larve des "intelligent design".
In diesem Eintrag möchte ich ein Feld bereiten, das ich als Biologe und Skeptiker sehr ausdauernd beackern muß: ich stelle das Phänomen des Kreationismus vor, lege seine grundlegenden Strategien dar und versuche, herauszustellen, wie es sein kann, daß sich der Kreationismus trotz der erdrückenden Beweislage gegen ihn immer noch halten kann und auch in Europa zu verbreiten trachtet.
Zunächst zu den echten Fakten: die Erde besteht aus den Leichenresten eines explodierten Sterns und ist ca. 4,56 Milliarden Jahre alt. Die Anfänge primitivsten, aquatischen Lebens auf ihr, und erst ab hier beginnt des Interesse der Biologie, werden auf ca. 3,5 Milliarden Jahre in der Vergangenheit geschätzt. Seit es auf Nukleinsäure als Erbmaterial basiertes Leben gibt, gibt es Evolution, die "Entwicklung" und stetige Veränderung der Lebewesen durch Variation und natürliche Auslese in ständiger Wechselwirkung mit einer sich verändernden Umwelt und später auch im Wettbewerb mit anderen Lebewesen. Der Prozess beruht zum einen Teil auf zufälliger Variation durch Mutation, zu einem weiteren Teil auf ebenfalls ungerichteter Rekombination der Erbanlagen (dies jedoch nur bei sexueller Fortpflanzung) und zu einem Teil auf der gar nicht zufälligen Selektion der Individuen, die am besten an die gegebenen Umweltbedingungen angepasst sind. Die Evolution ist damit ein zielloser (im teleologischen Sinne) aber nicht ungerichteter Prozess der Optimierung, der doch nie zu einem Ende gelangen kann. Keine Lebensform ist geplant gewesen oder stellt einen Endzustand an und das gesamte Geschehen ist bis ins Detail durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse zu erklären.

An dieser Stelle könnte ich den Artikel abbrechen, da man im Jahr 2009 und angesichts der aus nahezu allen naturwissenschaftlichen Disziplinen zusammengetragenen, sich bestätigenden und ergänzenden Evidenz kaum ernsthaft eine andere Position vertreten kann. Oder? Tja, leider: oder.
Vornehmlich in den USA und muslimischen Ländern, als Faustregel kann man sagen: in Ländern mit hoher Religiosität herrschen auch heute noch in weiten Teilen der Bevölkerung kreationistische, d.h. schöpfungsgläubige Weltauffassungen vor. Es existieren dabei wilde Gemische zwischen den Extremen des biblisch-wörtlichen "Gott schuf die Welt und das Leben in 6 Tagen und aus der Bibel läßt sich errechnen, daß dies vor ca. 6000 Jahren war" und dem zwar ein kreationistisches Element enthaltenden, doch mit der Wissenschaft (noch) zu vereinbarenden "Gott hat die Entstehung der Welt geplant und per Urknall initiiert, der Rest steht in den Fachbüchern".

Und so gehen die Kreationisten vor: Natürlich soll und kann grundsätzlich jeder glauben, was er will, egal wie albern oder absurd es anderen erscheinen mag. Ein Problem ergibt sich aber immer dann, wenn andere "Unschuldige" oder Abhängige, wie z.B. Kinder, durch die eigenen Glaubensvorstellungen und das Bedürfnis, diese in deren Leben zu pressen, Schaden nehmen. Unter "Schaden" fällt meiner Ansicht nach auch das Erlernen und Verinnerlichen von falschem, ideologisch geprägtem "Wissen". Leider ist genau das die Strategie des Kreationismus. Kreationisten wissen, daß ihre "Geschichten" in der bestehenden scientific community, der wissenschaftlichen Weltgemeinschaft, die ihre eigene Sprache, Qualitätskriterien und Korrekturmechanismen entwickelt hat und die den Zweifel und die Skepsis zu ihren höchsten Tugenden rechnet, absoult keine Chance haben. Tatsächlich sucht man kreationistische Aufsätze in allen anerkannten Zeitschriften und Journalen, in denen sich die scientific community mitteilt, ihre Ergebnisse vorstellt und diskutiert, vergebens. Denn dem Kreationismus fehlt zur Gänze die wichtigste Währung aller Wissenschaft: die Evidenz. Er hat hat keine Daten hervorgebracht und arbeitet nur mit untestbaren Hypothesen. Dies macht seine Hervorbringungen ungeeignet für jede wissenschaftliche Publikation.
Seine Vertreter wissen das und sehen daher die Notwendigkeit, stattdessen auf die nachwachsenden Generationen, die Schulkinder und Studenten, Einfluß zu nehmen und dafür zu sorgen, daß sie kreationistisches Gedankengut bereits verinnerlicht haben und mitbringen, wenn sie sich auf den Weg machen, die Forscher und Wissenschaftler von morgen zu werden. Genau das wird, teils mit besorgniserrgendem Erfolg - je nachdem, in welchem Land man sich umsieht - versucht, indem Kreationisten große Anstrengungen unternehmen, den Kreationismus gleichberechtigt mit der Evolutionstheorie (ET) (oder am liebsten ausschließlich) im Biologieunterricht auf den Lehrplan zu bringen. In den USA, im Staat Pennsylvania ist ein hochbeachteter Prozess, der die Entlarvung von intelligent design als Kreationismus bewirkte, für die Kreationisten zwar gescheitert, doch in anderen Bundesstaaten wird den Schülern immer noch suggeriert, es gebe eine echte wissenschaftliche "Kontroverse" über die Gültigkeit der Evolutionstheorie, betrieben hauptsächlich von einem konservativ-religiösen "think tank", also einer antiwissenschaftlichen Propaganda-Institution, dem "Discovery Institute". In Kentucky wurde sogar unlängst für sagenhafte 27$ Mio. ein Museum errichtet, in dem die biblische Schöpfungsgeschichte als Lehr- und Anschauungsstoff dargeboten und als faktisch wahr dargestellt wird. Alldieweil überschwemmt aus der Türkei der überaus kontroverse Kreationisten-Hardliner Adnan Oktar (Pseudonym: Harun Yahya) die Schulen der Welt (meist sogar kostenlos) mit seinem äußerst aufwendig und teuer produzierten "Atlas of Creation", einem Machwerk, das teils auf kurios falsche Weise die Schöpfungslehre in Bild und Wort belegen und dies bereits in die Köpfe der Schüler einflößen soll. An diesen und vielen weiteren Beispielen, von denen auch Deutschland ein paar unrühmliche zu bieten hat, sieht man, wie eifrig und unnachgiebig die Einflußnahme auf Schüler und Schulen betrieben wird und wie wichtig es ist, diese Gefahr zu erkennen und dagegen vorzugehen, indem man aufklärt, warnt und mit dem schwersten Pfunde wuchert, das die echte Wissenschaft aufbieten kann: Evidenz! Diese muß man so darstellen, auch und besonders für Kinder, daß klar wird, warum die Evolutionstheorie so stark ist, warum man mit ihr alles erklären kann und warum es so wichtig ist, Beweise für seine Behauptungen und Ideen zu finden.
Da die kreationistische Schöpfungslehre bis dato keinerlei Evidenz hervorgebracht hat, - die Bibel zählt sehr zum Verdruss der Kreationisten nicht als Evidenz - müssen sich ihre Verfechter mit Rhetorik, Propaganda und inszenierten Disputen behelfen, wo sie sich ausschließlich mit negativer Argumentation, also mit Angriffen auf die ET begnügen. Natürlich verkennen sie dabei die Tatsache, daß, selbst wenn die ET sich eines Tages als falsch herausstellen würde, dies keinesfalls bedeutete, daß damit automatisch der Kreationismus die richtige Erklärung wäre. Doch diese und andere rhetorische und intellektuelle Unredlichkeiten gehören leider zum festen Repertoire kreationisticher Apologeten. Zum Beispiel wird auch häufig versucht, die Evolutionstheorie moralisch oder ideologisch anzugreifen, indem behauptet wird, daß sich die Nazis der Theorie bedient hätten, um ihre selektiven Morde zu rechtfertigen (was nicht nur falsch und absurd ist, sondern auch nicht im mindesten den Wahrheitsgehalt der ET verändern würde) bzw. indem sie sie mit Atheismus assoziieren, als müsse, wer die ET vertritt, Atheist sein (und als wäre das etwas schlimmes).
In Debatten und Podiumsdiskussionen gehen Kreationisten meist auf die gleiche Weise vor: sie haben einen vorbereiteten Strauß von teils pseudowissenschaftlichen, teils moralischen, teils scheinbar logischen Argumenten gegen die ET und zwar völlig unabhängig von ihrem Gesprächspartner. Der Gesprächspartner wird die Argumente, die sein Fachgebiet betreffen, widerlegen können, kann sich aber meist nicht fundiert (und diesen Anspruch sollte man, gerade als Wissenschaftler an sich stellen) zu Argumenten aus anderen Bereichen äußern. Ein Biologe könnte leicht das angebliche Fehlen von Übergangsfossilien widerlegen, sich aber ggf. nicht über angebliche Schwächen bei der Radiocarbon-Datierung äußern, was, bei geschickter rhetorischer Ausnutzung und entsprechender Zusammensetzung des Publikums, den Eindruck erwecken kann, als habe der Kreationist ein unwiderlegbares Argument, wenn es in Wirklichkeit nur vom gegebenen Gesprächspartner gerade nicht widerlegt werden kann. Es ist daher immer äußerst undankbar und schwierig, in solchen Disputen eine gute Figur zu machen und die Wissenschaft gegen den Aberglauben zu verteidigen, insbesondere deshalb, weil die Kreationisten gar nicht an einer offenen Diskussion interessiert sind und sich durch noch so viele Argumente und Beweise nicht überzeugen lassen. Zum Glück gibt es mittlerweile eine Internetseite, wo die klassischen Kreationistenargumente gesammelt, geordnet und samt ihrer wissenschaftlichen und durch zahlreiche Refrenzen gestützten Widerlegung aufgeführt sind. Diese gibt es sogar als Buch, das ich jedem, der eine öffentliche Debatte mit diesen Leuten führen muß, nur wärmstens empfehlen kann. Ich kann aber auch jede(n) verstehen, der/die eine solche Debatte ohnehin ablehnt, weil er/sie der Meinung ist, daß allein ein gemeinsamer Auftritt und ein ernsthaftes Gespräch mit solchen Leuten, diesen und ihrer Antiwissenschaft eine viel zu große Legitimation geben würde.
Aber was treibt die Kreationisten an? Woher kommt dieser Eifer und die Kraft, trotz der massiven und für sie völlig unüberwindlichen Evidenz der echten Wissenschaften gegen deren grundlegende Theorien zu kämpfen? Es kann kaum das Interesse an schlechter Wissenschaft sein. Es ist religiöser Eifer, der sich auf dem Feld der Wissenschaft aber eben mit religiösen statt wissenschaftlichen "Instrumenten" behaupten will. Sie bieten Propaganda statt Daten, Dogma statt Zweifel, Überlieferung statt Überprüfung, Bibelzitate statt Experimente und emotionale Glaubensüberzeugung statt testbaren Wissens. Ihr Kampf ist schon verloren bevor er angefangen hat, aber sie sind dennoch überzeugt, ihn führen zu müssen, weil sie aus der Bibel und ihrer wörtlichen Auslegung folgern, daß dies der Wille ihrer Gottheit sei. Sie fühlen sich in ihrer Eitelkeit und der "ihres" Schöpfers verletzt, wenn die Evolutionstheorie sie lehren will, daß der Mensch nichts Besonderes, kein Endzustand, eher eine vorübergehende Laune ist, daß es keine Schöpfung, nur eine Entwicklung gibt, daß sie mit den Menschenaffen über 98% genetische Identität und gemeinsame Vorfahren besitzen, daß das Universum kalt, leer und gleichgültig ist, daß die Wissenschaft in ihren Experimenten keinen Sinn für ihr Leben und keine Berechtigung, die Natur auszuplündern, finden kann. Keine andere wissenschaftliche Theorie ist so unbequem, ernüchternd und Bescheidenheit gebietend und keine andere Theorie macht einen Schöpfergott als Urheber des Lebens in all seiner Komplexität, Verworrenheit und Unlogik so überflüssig und entbehrlich und als menschengemacht und menschengewünscht durchschaubar, wie die Evolutionstheorie. Deshalb, weil diese Theorie so tief in fundamentale "Gewissheiten", Befindlichkeiten und auch das Gefühl des "In-Welt-geborgen-Seins" eingreift und die gewohnte, lieb gewonnene und benötigte Vorstellung einer personalen, liebevollen, zugewandten Gottheit so krass zurechtstutzt, streitig macht und bis hinter den Urknall zurückdrängt, müssen diese Menschen so entschlossen dagegen vorgehen und dabei sogar in Kauf nehmen, alles zu leugnen, zu ignorieren und sogar zu verzerren, was die Wissenschaft erkannt und in Form von überwältigender Evidenz angehäuft hat. Sie lehnen mithin Wahrheit und Wissen ab, wenn diese mit ihrem Glauben und Hoffen nicht übereinstimmen. Ich verstehe das, doch ich finde es schade, daß sie sich sogar den Versuch versagen, uns zu verstehen und zu erleben, wie erfüllt und glücklich auch ein Leben ohne Gott, ohne Schöpfer sein kann, wieviel wertvoller dieses eine, endliche Leben einem erscheint und wie schön und erhaben das Gefühl ist, seinem eigenen Leben selbst einen Sinn gegeben zu haben.

Freitag, 8. Mai 2009

Es ist nur Wasser!

Kaum existiert das Blog eineinhalb Monate, schon erscheint der zweite Eintrag! Ob ich dieses Tempo durchhalte?
Etwas, das mich schon lange beschäftigt und das in Art und Irrationalität des Zuspruchs vollkommen an eine Religion erinnert, ist die Homöopathie. Diese, nennen wir sie, Philosophie, deren Essenz und namengebendes Prinzip ist, daß "ähnliches ähnliches heile", wurde 1796 vom deutschen Arzt Samuel Hahnemann begründet. Hahnemanns Idee war es, Kranken Substanzen in stark verdünnter Form zu verabreichen, die bei Gesunden die Symptome hervorrufen würden, unter denen der zu behandelnde Kranke leidet. Die Verdünnungsprozedur spielt dabei in der Homöopathie eine bedeutende Rolle, da sie in der Vorstellung der Homoöpathen zwar die unerwünschten Nebenwirkungen des Diluens vermindert, die erwünschten Wirkungen hingegen verstärkt oder "potenziert" (wie der Verdünnungsprozess zwischen erwünscht und unerwünscht unterscheidet, ist nicht überliefert). Aus diesem Grund nennen Homöopathen die Verdünnungen auch Potenzen und zwar entspricht die Potenz D1 einer 1:10-fachen Verdünnung des reinen Wirkstoffs. Wenn aus dieser Verdünnung ein zehnter Teil (z.B. 1 ml von 10 ml) entnommen und mit 9 ml eines neutralen Lösemittels wie Wasser gemischt wird, entsteht chemisch gesehen eine 1:10 Verdünnung einer 1:10 Verdünnung, also eine 1:100 Verdünnung. Dies nennen Homöopathen Potenz D2. D3 entspricht also einer 1:1000 Verdünnung, D4 einer 1:10.000 Verdünnung usw. Die Homöopathen glauben weiterhin, daß ihre spezielle rituelle Art des "Verschüttelns" der Verdünnungen notwendig für die Erzeugung und den Erhalt der Wirkpotenz sei. Eine übliche homöopathische Potenz ist z.B. D23, eine 1: 1 Trilliarde Verdünnung. Dies entspricht in etwa dem Verdünnungsgrad, den man erhalten würde, wenn man einen Tropfen einer reinen Wirkstofflösung ins Mittelmeer geben, kräftig "verschütteln" und dann wieder einen Tropfen entnehmen würde. Pharmakologisch bewegt sich eine solche Verdünnung, wenn sie überhaupt ein einziges Wirkstoffmolekül enthält, äußerst weit von jeder noch so geringen Wirksamkeit. Natürlich, da ist den Homöopathen zuzustimmen, hat diese Verdünnung auch keinerlei Nebenwirkungen, weswegen sich homöopathische Präparate tatsächlich sehr schonend ausnehmen.
Was ist denn nun das Problem mit der Homöopathie?
Ich sehe zwei grundlegende Probleme, wobei das zweite nur mittelbar mit der Homoöpathie zu tun hat, aber dennoch auf sie anwendbar ist.
Das erste und grundlegende Problem ist, daß es für das Wirkprinzip keine wissenschaftliche Erklärung und für die Wirksamkeit keine valide, d.h. unter doppelt verblindeter, randomisierter Testung mehrfach reproduzierte Evidenz gibt.
Auch Homöopathen ist bewußt, daß ihre Potenzierung chemisch eine Verdünnung ist, sie wissen also, daß ihre Tinkturen kaum wenn überhaupt Wirkstoffmoleküle enthalten. Sie erklären die vermeintliche Wirksamkeit ihrer Produkte damit, daß in der unverdünnten Lösung der Wirkstoff seine Eigenschaften dem Wasser "aufgeprägt" habe - so wie ein Gipsabdruck einer Hand bestehen bleibt, wenn die Hand längst wieder weggenommen wurde, soll das "Wassergedächtnis" diese Aufprägung behalten und muß sie theoretisch auch dem Wasser, das bei den Verdünnungen hinzukommt, weitergeben, da sonst das "geprägte Wasser" selbst wie ein Wirkstoff zu verstehen und bei Potenzen wie D23 bis zur Unauffindbarkeit verdünnt wäre. Das in hohen Potenzen vorliegende, geprägte Wasser soll dann den heilsamen Effekt herbeiführen. Nichts davon, weder die "Prägung" von Wassermolekülverbänden noch die "Weitergabe" solcher Formen an "ungeprägtes" Wasser noch irgendeine Wirkung von reinem Wasser auf den Körper, abgesehen von den bekannten, konnte je von der Naturwissenschaft nachgewiesen werden, ja, es würde den grundlegenden und millionenfach bestätigten Erkenntnissen über die Chemie und Physik des Wassers sogar krass zuwiderlaufen. Hinzu kommt, daß Hahnemann zu Lebzeiten bereits Krankheitsbildern begegnete, denen er mit homöopathischen Mitteln nicht beikommen konnte, die wissenschaftliche gesprochen also durch den reinen Placeboeffekt nicht zu heilen waren. Für diese sog. "chronischen Krankheiten" erfand er die ihnen angeblich zugrundeliegenden "Ur-Übel" oder Miasmen, die er in völlig willkürliche und nach heutiger Sicht unsinnige Katergorien einteilte. Hahnemann bewegte sich dabei auf dem ziemlich unwissenschaftlichen Stand der Medizin des 19. Jahrhunderts - dem massiven Erkenntiszuwachs der Schulmedizin, der die "Keimtheorie" für Infektionskrankheiten einschließt, zum Trotz werden Hahnemanns Ideen noch heute der "modernen" Homöopathie zugrundegelegt.
Damit verhält sich die Homöopathie zur evidenzbasierten sog. "Schulmedizin" wie die Astrologie zur Astronomie. Auch die Astrologie geht von unbewiesenen Prämissen aus, baut darauf ein "Lehrgebäude" auf und zieht Schlüsse, die den Anspruch erheben, eine Entsprechung in der Realität zu haben. Diese Ergebnisse hielten der Überprüfung durch doppelblinde Studien, genau wie bei der Homöopathie, noch in keinem Fall stand.
Homöopathie-Befürworter versuchen daraufhin meist, den Vorwurf der mangelnden Evidenz durch Anekdoten oder Geschichten über angebliche Studien in XYZ zu entkräften, doch wenn man diese Studien zu sehen verlangt oder selber nachprüft, ergibt sich stets, daß sie methodisch unzureichend oder gefälscht sind. Die Homöopathie muß somit als reine Pseudowissenschaft ohne reales Korrelat aufgefasst und alle ihr zugeschriebenen und anekdotisch berichteten Wirkungen dem Placeboeffekt zugerechnet werden.

Das zweite Problem ist die objektiv gesehen völlig unverständliche Akzeptanz, mehr noch der begeisterte Zuspruch, den die Homöopathie auch im Jahr 2009 erfährt. Das ist natürlich kein homöopathiespezifisches Phänomen sondern der allgemeinen wissenschaftlichen Unbildung der Bevölkerung, die sie außerstande setzt, zu verstehen, warum Homöopathie nicht funktionieren kann, sowie einer sich durch die althergebrachte Religionsausübung gewohnt anfühlenden Gutgläubigkeit, der Bereitschaft also, Behauptungen zu glauben, wenn nur die Ernsthaftigkeit ihres Vortrages, gepaart mit rituellen Arabesken die für ihre Begründung eigentlich notwendige Evidenz ersetzen, verschuldet. Natürlich, die Homöopathie, die sich gegen die "große" Schulmedizin wie David gegen Goliath behaupten muß, von der es keine Schreckensmeldungen über Nebenwirkungen gibt, die sich den Anstrich der zugewandten, „ganzheitlichen (was immer das sein soll) Naturmedizin“ gibt, wo man sich lange, interessiert und ausführlich mit einem Patienten befasst, ist in diesem Konflikt der Sympathieträger. Die behemothische Schulmedizin, die vielen Leiden ebenfalls hilflos gegenübersteht und sich allzuhäufig im Umgang mit Patienten auf den unpersönlichen Abwurf von Erzeugnissen der Pharmaindustrie auf diese beschränkt und in ihrem Beharren auf Wirknachweis und darlegbares Wirkprinzip verstockt und unflexibel wirkt, wird mit Mißtrauen und Ablehnung betrachtet. Das gilt natürlich ganz besonders bei „Leiden“, die keine echte organische Ursache haben, sondern psychisch bedingt sind und sich dann irgendwann somatisch Bahn brechen. Und mit „Leiden“ meine ich keine echten psychischen Leiden wie Schizophrenie oder Depression, welche medikamentös sehr gut zu behandeln sind, sondern, eben, „Leiden“. Das Leiden am Dasein, das Alleinsein, das Gefühl der Unzulänglichkeit und und und… Da nützen keine Pillen, keine Impfungen und Antibiotika, da nützt tatsächlich der einzige Wirkstoff, den die Homöopathie hat: Zeit. Und die Behandlung heißt „Betüdelung“ und hier wirkt sie und sie befreit manche Menschen von enormem Leidensdruck.

Die meisten Menschen sind jedoch vernünftig genug und kehren, wenn sie oder ihre Angehörigen wirklich krank werden, reumütig zur ’bösen’ Schulmedizin zurück, wo man ihnen Antibiotika statt verdünnte Bakterien gegen schwere Infektionen gibt und ihnen den kurz vor dem Platzen stehenden Blinddarm herausnimmt, statt sich in einem langen Gespräch ein „ganzheitliches“ Bild von deren „Lebenskraft“ zu machen. Ich sagte: die meisten Menschen. Wenn man dem Trug der Homöopathie vollständig erliegt oder aber vollständig und rückhaltlos in einer esoterischen Geisteswelt abgetaucht ist, kommt es zum Unglück: dann werden auch ernste, „echte“ Krankheiten nur mit Wasser und Betüdelung zu behandeln versucht und dann sterben Menschen. Es ist keine zwei Wochen her, daß zwei Leute, die leider und offenbar an erster Stelle überzeugte Homöopathen und dann erst Eltern waren, ihr Kind auf grauenhafte Weise sterben ließen.

Ich bin in einem Zwiespalt: wenn diese Leute wirklich und wahrhaftig geglaubt haben, das beste für ihr Kind zu tun, haben sie ja eigentlich nicht schuldhaft gehandelt. Andererseits hätten sie wissen können und müssen, daß ihr geschütteltes Wasser ihr Kind nicht retten kann. Das Problem an dieser Stelle ist: kann man den Vernunftgebrauch gesetzlich vorschreiben? Wenn ja, hätten die Eltern ihre Vernunft gebrauchen, erkennen, daß Wasser und ein Placeboeffekt nicht gegen den lebensbedrohlichen Zustand ihres Kindes hilft und ihm eine durch Evidenz gestütze Therapie, die es sicher gerettet hätte, zukommen lassen müssen. Wenn aber der Vernunftgebrauch gesetzlich vorgeschrieben wäre, würde dieses Gesetz direkt mit Artikel 4 des Grundgesetzes kollidieren, der eben gerade jedem die Freiheit zugesteht, die Vernunft zu Gunsten irrationaler Annahmen ruhen zu lassen.
Es stimmt mich melancholisch, daß hier ein unausräumbares Dilemma vorliegt: schafft man Artikel 4 ab, wird es Kriege und Tote geben, weil die Menschen nicht vernünftig sind und es auch nicht sein wollen. Behält man ihn, bleibt es dabei, daß Unvernunft und mutwillige Irrationalität, sowie deren ritualisierte Proliferation geduldet und geschützt wird, daß also eine Geisteshaltung unter Grundrechtschutz gestellt wird, die eine evidenzbasierte, vernunftorientierte Weltsicht häufig verstellt, was, wie wir sehen, auch im Jahr 2009, Menschenleben kostet. Das Dilemma läßt sich also zugespitzt als einen Widerspruch zweier Menschenrechte auffassen: das Recht auf freie Religionsausübung (egal ob man Homöopathie, die wie oben dargelegt alle Kriterien einer Religion erfüllt, als Beispiel dafür heranzieht oder den islamischen oder christlichen Exorzismus, der ebenfalls, anstelle echter Medizin zur Heilung Kranker auch heute noch angewandt wird) in einigen Fällen nicht mit dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu vereinbaren.
Die Frage, welches Menschenrecht schwerer wiegt, kann ich für mich klar beantworten: das Recht auf Leben!

Hier noch ein Comic, der es gut zusammenfasst:
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Literatur:
Maddox J, Randi J, Stewart WW.Nature. 1988 Jul 28;334(6180):287-91.
"High-dilution" experiments a delusion.

Hektoen L. Vet Rec. 2005 Aug 20;157(8):224-9.
Review of the current involvement of homeopathy in veterinary practice and research.

Shang A, Huwiler-Müntener K, Nartey L, Jüni P, Dörig S, Sterne JA, Pewsner D, Egger M. Lancet. 2005 Aug 27-Sep 2;366(9487):726-32.
Are the clinical effects of homoeopathy placebo effects? Comparative study of placebo-controlled trials of homoeopathy and allopathy.

Cowan ML, Bruner BD, Huse N, Dwyer JR, Chugh B, Nibbering ET, Elsaesser T, Miller RJ.Nature. 2005 Mar 10;434(7030):199-202.
Ultrafast memory loss and energy redistribution in the hydrogen bond network of liquid H2O.

Baum M, Ernst E. Am J Med. 2009 Nov;122(11):973-4.
Should we maintain an open mind about homeopathy?

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Nachtrag: Die o.g. Eltern, die ihr Kind sterben ließen, weil sie ihm eine wirksame Behandlung zu Gunsten von homöopathischen Wässerchen vorenthielten, sind nun wegen Totschlags zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt worden.

Freitag, 27. März 2009

Zu Beginn / Zur Erklärung

Warum dieses Blog?

Ich möchte dieses Blog benutzen, um hier in einem anderen Stil zu schreiben, als in meinem anderen Blog "Abgründe". Abgründe ist und bleibt eine Abrißbirne, Black No. 1 soll ein Skalpell werden.

Warum Black No.1?

Abgesehen davon, daß es ziemlich cool klingt und es definitiv schlechtere Songs gibt, ist Schwarz ist nach meiner Auffassung die chromatographische Entsprechung des Urzustandes, der vollkommenen Reduktion, der ultimativen Kritik, die alles nicht Wesentliche schwärzt.
Und No.1? Abgesehen von ein wenig Eitelkeit reizt mich der vermeintlich Widerspruch zwischen 1 und Schwarz. 1 als binäres Signal für "an", als Symbol von Ganzheit und Vollständigkeit im Gegensatz zur Leere und Gestaltbarkeit von Schwarz.
Aus dem Schwarzen, (noch) Nichtexistenten soll hier also die eine Klinge des Skeptizismus sich erheben... und schneiden.

Warum Cutting Edge?

Der "Cutting Edge" ist eine dreifache Metapher. Der Schwertaspekt steht für eine Kampfansage an Religion, Aberglauben, Mystizismus, Pseudowissenschaft, Wunderheiler und sonstigen Schwindel, der uns als wahr verkauft werden soll und immer noch erschreckend erfolgreich ist. "Cutting Edge", die scharfe Schneide, steht auch für das Rasiermesser Ockhams, ein "Denkwerkzeug", durch das sich viel HokusPokus und flascher Zauber abschneiden läßt. Und schließlich steht "cutting edge" als Adjektiv für "aktuell" und "innovativ", weil ich versuchen werde, auch und gerade moderne Pop-Schwindler (wie Herr Geller und Konsorten), die selbst im Jahre 2009 ihr gutgläubiges Publikum finden, zu schneiden.

Schnittig, was?