Eine besonders für Biologen nervige, lästige aber auch ärgerliche Pseudowissenschaft stellt der Kreationismus dar, sei es in Form des kaum gefilterten biblischen Schöpfungsmythos oder in der besser maskierten und doch völlig unwissenschaftlichen Larve des "intelligent design".
In diesem Eintrag möchte ich ein Feld bereiten, das ich als Biologe und Skeptiker sehr ausdauernd beackern muß: ich stelle das Phänomen des Kreationismus vor, lege seine grundlegenden Strategien dar und versuche, herauszustellen, wie es sein kann, daß sich der Kreationismus trotz der erdrückenden Beweislage gegen ihn immer noch halten kann und auch in Europa zu verbreiten trachtet.
Zunächst zu den echten Fakten: die Erde besteht aus den Leichenresten eines explodierten Sterns und ist ca. 4,56 Milliarden Jahre alt. Die Anfänge primitivsten, aquatischen Lebens auf ihr, und erst ab hier beginnt des Interesse der Biologie, werden auf ca. 3,5 Milliarden Jahre in der Vergangenheit geschätzt. Seit es auf Nukleinsäure als Erbmaterial basiertes Leben gibt, gibt es Evolution, die "Entwicklung" und stetige Veränderung der Lebewesen durch Variation und natürliche Auslese in ständiger Wechselwirkung mit einer sich verändernden Umwelt und später auch im Wettbewerb mit anderen Lebewesen. Der Prozess beruht zum einen Teil auf zufälliger Variation durch Mutation, zu einem weiteren Teil auf ebenfalls ungerichteter Rekombination der Erbanlagen (dies jedoch nur bei sexueller Fortpflanzung) und zu einem Teil auf der gar nicht zufälligen Selektion der Individuen, die am besten an die gegebenen Umweltbedingungen angepasst sind. Die Evolution ist damit ein zielloser (im teleologischen Sinne) aber nicht ungerichteter Prozess der Optimierung, der doch nie zu einem Ende gelangen kann. Keine Lebensform ist geplant gewesen oder stellt einen Endzustand an und das gesamte Geschehen ist bis ins Detail durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse zu erklären.
An dieser Stelle könnte ich den Artikel abbrechen, da man im Jahr 2009 und angesichts der aus nahezu allen naturwissenschaftlichen Disziplinen zusammengetragenen, sich bestätigenden und ergänzenden Evidenz kaum ernsthaft eine andere Position vertreten kann. Oder? Tja, leider: oder.
Vornehmlich in den USA und muslimischen Ländern, als Faustregel kann man sagen: in Ländern mit hoher Religiosität herrschen auch heute noch in weiten Teilen der Bevölkerung kreationistische, d.h. schöpfungsgläubige Weltauffassungen vor. Es existieren dabei wilde Gemische zwischen den Extremen des biblisch-wörtlichen "Gott schuf die Welt und das Leben in 6 Tagen und aus der Bibel läßt sich errechnen, daß dies vor ca. 6000 Jahren war" und dem zwar ein kreationistisches Element enthaltenden, doch mit der Wissenschaft (noch) zu vereinbarenden "Gott hat die Entstehung der Welt geplant und per Urknall initiiert, der Rest steht in den Fachbüchern".
Und so gehen die Kreationisten vor: Natürlich soll und kann grundsätzlich jeder glauben, was er will, egal wie albern oder absurd es anderen erscheinen mag. Ein Problem ergibt sich aber immer dann, wenn andere "Unschuldige" oder Abhängige, wie z.B. Kinder, durch die eigenen Glaubensvorstellungen und das Bedürfnis, diese in deren Leben zu pressen, Schaden nehmen. Unter "Schaden" fällt meiner Ansicht nach auch das Erlernen und Verinnerlichen von falschem, ideologisch geprägtem "Wissen". Leider ist genau das die Strategie des Kreationismus. Kreationisten wissen, daß ihre "Geschichten" in der bestehenden scientific community, der wissenschaftlichen Weltgemeinschaft, die ihre eigene Sprache, Qualitätskriterien und Korrekturmechanismen entwickelt hat und die den Zweifel und die Skepsis zu ihren höchsten Tugenden rechnet, absoult keine Chance haben. Tatsächlich sucht man kreationistische Aufsätze in allen anerkannten Zeitschriften und Journalen, in denen sich die scientific community mitteilt, ihre Ergebnisse vorstellt und diskutiert, vergebens. Denn dem Kreationismus fehlt zur Gänze die wichtigste Währung aller Wissenschaft: die Evidenz. Er hat hat keine Daten hervorgebracht und arbeitet nur mit untestbaren Hypothesen. Dies macht seine Hervorbringungen ungeeignet für jede wissenschaftliche Publikation.
Seine Vertreter wissen das und sehen daher die Notwendigkeit, stattdessen auf die nachwachsenden Generationen, die Schulkinder und Studenten, Einfluß zu nehmen und dafür zu sorgen, daß sie kreationistisches Gedankengut bereits verinnerlicht haben und mitbringen, wenn sie sich auf den Weg machen, die Forscher und Wissenschaftler von morgen zu werden. Genau das wird, teils mit besorgniserrgendem Erfolg - je nachdem, in welchem Land man sich umsieht - versucht, indem Kreationisten große Anstrengungen unternehmen, den Kreationismus gleichberechtigt mit der Evolutionstheorie (ET) (oder am liebsten ausschließlich) im Biologieunterricht auf den Lehrplan zu bringen. In den USA, im Staat Pennsylvania ist ein hochbeachteter Prozess, der die Entlarvung von intelligent design als Kreationismus bewirkte, für die Kreationisten zwar gescheitert, doch in anderen Bundesstaaten wird den Schülern immer noch suggeriert, es gebe eine echte wissenschaftliche "Kontroverse" über die Gültigkeit der Evolutionstheorie, betrieben hauptsächlich von einem konservativ-religiösen "think tank", also einer antiwissenschaftlichen Propaganda-Institution, dem "Discovery Institute". In Kentucky wurde sogar unlängst für sagenhafte 27$ Mio. ein Museum errichtet, in dem die biblische Schöpfungsgeschichte als Lehr- und Anschauungsstoff dargeboten und als faktisch wahr dargestellt wird. Alldieweil überschwemmt aus der Türkei der überaus kontroverse Kreationisten-Hardliner Adnan Oktar (Pseudonym: Harun Yahya) die Schulen der Welt (meist sogar kostenlos) mit seinem äußerst aufwendig und teuer produzierten "Atlas of Creation", einem Machwerk, das teils auf kurios falsche Weise die Schöpfungslehre in Bild und Wort belegen und dies bereits in die Köpfe der Schüler einflößen soll. An diesen und vielen weiteren Beispielen, von denen auch Deutschland ein paar unrühmliche zu bieten hat, sieht man, wie eifrig und unnachgiebig die Einflußnahme auf Schüler und Schulen betrieben wird und wie wichtig es ist, diese Gefahr zu erkennen und dagegen vorzugehen, indem man aufklärt, warnt und mit dem schwersten Pfunde wuchert, das die echte Wissenschaft aufbieten kann: Evidenz! Diese muß man so darstellen, auch und besonders für Kinder, daß klar wird, warum die Evolutionstheorie so stark ist, warum man mit ihr alles erklären kann und warum es so wichtig ist, Beweise für seine Behauptungen und Ideen zu finden.
Da die kreationistische Schöpfungslehre bis dato keinerlei Evidenz hervorgebracht hat, - die Bibel zählt sehr zum Verdruss der Kreationisten nicht als Evidenz - müssen sich ihre Verfechter mit Rhetorik, Propaganda und inszenierten Disputen behelfen, wo sie sich ausschließlich mit negativer Argumentation, also mit Angriffen auf die ET begnügen. Natürlich verkennen sie dabei die Tatsache, daß, selbst wenn die ET sich eines Tages als falsch herausstellen würde, dies keinesfalls bedeutete, daß damit automatisch der Kreationismus die richtige Erklärung wäre. Doch diese und andere rhetorische und intellektuelle Unredlichkeiten gehören leider zum festen Repertoire kreationisticher Apologeten. Zum Beispiel wird auch häufig versucht, die Evolutionstheorie moralisch oder ideologisch anzugreifen, indem behauptet wird, daß sich die Nazis der Theorie bedient hätten, um ihre selektiven Morde zu rechtfertigen (was nicht nur falsch und absurd ist, sondern auch nicht im mindesten den Wahrheitsgehalt der ET verändern würde) bzw. indem sie sie mit Atheismus assoziieren, als müsse, wer die ET vertritt, Atheist sein (und als wäre das etwas schlimmes).
In Debatten und Podiumsdiskussionen gehen Kreationisten meist auf die gleiche Weise vor: sie haben einen vorbereiteten Strauß von teils pseudowissenschaftlichen, teils moralischen, teils scheinbar logischen Argumenten gegen die ET und zwar völlig unabhängig von ihrem Gesprächspartner. Der Gesprächspartner wird die Argumente, die sein Fachgebiet betreffen, widerlegen können, kann sich aber meist nicht fundiert (und diesen Anspruch sollte man, gerade als Wissenschaftler an sich stellen) zu Argumenten aus anderen Bereichen äußern. Ein Biologe könnte leicht das angebliche Fehlen von Übergangsfossilien widerlegen, sich aber ggf. nicht über angebliche Schwächen bei der Radiocarbon-Datierung äußern, was, bei geschickter rhetorischer Ausnutzung und entsprechender Zusammensetzung des Publikums, den Eindruck erwecken kann, als habe der Kreationist ein unwiderlegbares Argument, wenn es in Wirklichkeit nur vom gegebenen Gesprächspartner gerade nicht widerlegt werden kann. Es ist daher immer äußerst undankbar und schwierig, in solchen Disputen eine gute Figur zu machen und die Wissenschaft gegen den Aberglauben zu verteidigen, insbesondere deshalb, weil die Kreationisten gar nicht an einer offenen Diskussion interessiert sind und sich durch noch so viele Argumente und Beweise nicht überzeugen lassen. Zum Glück gibt es mittlerweile eine Internetseite, wo die klassischen Kreationistenargumente gesammelt, geordnet und samt ihrer wissenschaftlichen und durch zahlreiche Refrenzen gestützten Widerlegung aufgeführt sind. Diese gibt es sogar als Buch, das ich jedem, der eine öffentliche Debatte mit diesen Leuten führen muß, nur wärmstens empfehlen kann. Ich kann aber auch jede(n) verstehen, der/die eine solche Debatte ohnehin ablehnt, weil er/sie der Meinung ist, daß allein ein gemeinsamer Auftritt und ein ernsthaftes Gespräch mit solchen Leuten, diesen und ihrer Antiwissenschaft eine viel zu große Legitimation geben würde.
Aber was treibt die Kreationisten an? Woher kommt dieser Eifer und die Kraft, trotz der massiven und für sie völlig unüberwindlichen Evidenz der echten Wissenschaften gegen deren grundlegende Theorien zu kämpfen? Es kann kaum das Interesse an schlechter Wissenschaft sein. Es ist religiöser Eifer, der sich auf dem Feld der Wissenschaft aber eben mit religiösen statt wissenschaftlichen "Instrumenten" behaupten will. Sie bieten Propaganda statt Daten, Dogma statt Zweifel, Überlieferung statt Überprüfung, Bibelzitate statt Experimente und emotionale Glaubensüberzeugung statt testbaren Wissens. Ihr Kampf ist schon verloren bevor er angefangen hat, aber sie sind dennoch überzeugt, ihn führen zu müssen, weil sie aus der Bibel und ihrer wörtlichen Auslegung folgern, daß dies der Wille ihrer Gottheit sei. Sie fühlen sich in ihrer Eitelkeit und der "ihres" Schöpfers verletzt, wenn die Evolutionstheorie sie lehren will, daß der Mensch nichts Besonderes, kein Endzustand, eher eine vorübergehende Laune ist, daß es keine Schöpfung, nur eine Entwicklung gibt, daß sie mit den Menschenaffen über 98% genetische Identität und gemeinsame Vorfahren besitzen, daß das Universum kalt, leer und gleichgültig ist, daß die Wissenschaft in ihren Experimenten keinen Sinn für ihr Leben und keine Berechtigung, die Natur auszuplündern, finden kann. Keine andere wissenschaftliche Theorie ist so unbequem, ernüchternd und Bescheidenheit gebietend und keine andere Theorie macht einen Schöpfergott als Urheber des Lebens in all seiner Komplexität, Verworrenheit und Unlogik so überflüssig und entbehrlich und als menschengemacht und menschengewünscht durchschaubar, wie die Evolutionstheorie. Deshalb, weil diese Theorie so tief in fundamentale "Gewissheiten", Befindlichkeiten und auch das Gefühl des "In-Welt-geborgen-Seins" eingreift und die gewohnte, lieb gewonnene und benötigte Vorstellung einer personalen, liebevollen, zugewandten Gottheit so krass zurechtstutzt, streitig macht und bis hinter den Urknall zurückdrängt, müssen diese Menschen so entschlossen dagegen vorgehen und dabei sogar in Kauf nehmen, alles zu leugnen, zu ignorieren und sogar zu verzerren, was die Wissenschaft erkannt und in Form von überwältigender Evidenz angehäuft hat. Sie lehnen mithin Wahrheit und Wissen ab, wenn diese mit ihrem Glauben und Hoffen nicht übereinstimmen. Ich verstehe das, doch ich finde es schade, daß sie sich sogar den Versuch versagen, uns zu verstehen und zu erleben, wie erfüllt und glücklich auch ein Leben ohne Gott, ohne Schöpfer sein kann, wieviel wertvoller dieses eine, endliche Leben einem erscheint und wie schön und erhaben das Gefühl ist, seinem eigenen Leben selbst einen Sinn gegeben zu haben.
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