Freitag, 9. Oktober 2009

Eine Impfung gegen Ignoranz

wäre sicher eine sinnvolle Sache und würde, indirekt zwar, genau wie andere Impfungen Leben retten. Schon seit Jahren macht sich eine besorgniserrgende Tendenz zur Impfverweigerung bemerkbar: Eltern lassen ihre Kinder nicht mehr gegen die klassischen Kinderkrankheiten impfen, was mittlerweile bereits dazu geführt hat, daß jetzt, im Jahr 2009, wieder Kinder an den seltenen und völlig vermeidbaren Komplikationen von z.B. Masern sterben müssen.
Dabei ist die Erfindung der Impfung, also der aktiven Immunisierung gegen erregerbedingte Krankheiten, eine der größten Errungenschaften der modernen, evidenzbasierten Medizin und dürfte ungezählte Millionen Menschenleben gerettet haben. Nur durch eine weltweite und energisch betriebene Impfkampagne gelang es z.B., eine wirkliche Geissel der Menschheit, die Pocken, vollständig auszurotten, einer der wichtigsten und beeindruckendsten Erfolge der Medizingeschichte. Und es ist auch nur den flächendeckenden Kinderimpfungen zu verdanken, daß Krankheiten wie Kinderlähmung, Diphterie und Mumps so gut wie kaum noch auftreten und tödliche Verläufe höchst selten geworden sind.
Was also treibt moderne Menschen, Mütter von Kindern im Jahr 2009 dazu, nun wieder auf Impfungen zu verzichten und sie bewußt ihren Kindern vorzuenthalten, ja, noch bizarrer, sog."exposure parties" oder "pox parties" zu veranstalten, auf denen infizierte Kinder andere, gesunde Kinder anstecken sollen, damit diese endlich die Gelegenheit erhalten, krank zu werden und "auf natürliche Weise" die Krankheit zu durchleben und Immunität zu entwickeln?!?
Ich kann es mir nur so erklären: Zuerst spielt sicherlich die bestürzende allgemeine wissenschaftliche Illiteralität eine Rolle, die viele Menschen außerstande setzt, zu verstehen, was eine Impfung überhaupt ist, wie sie wirkt und warum es auch epidemiologisch so wichtig ist, an Impfungen teilzunehmen. Zudem entmündigt sie die Menschen insofern, als sie nicht mehr in der Lage sind, Informationen souverän gegeneinander abzuwägen und auf Wissenschaftlichkeit zu prüfen und so den medizinischen Ratschlägen in Regenbogenpresse, Bäckerblume, Bild und Express genausoviel Wert, Berechtigung und Richtigkeit zumessen, wie denen von Ärzten oder Wissenschaftlern. Diese wissenschaftliche Unbildung verundankt sich meiner Meinung nach zum einen einem unzureichenden Wissenschaftsjournalismus, der in Deutschland zu oberflächlich, desinteressiert, schlecht ausgestattet und tendenziös betrieben wird, an dem aber auch die häufig nicht gut ausgebildete Fähigkeit der Wissenschaftler, ihre Ergebnisse auf allgemeinverständliche und anschauliche Weise zu kommunizieren, zweifellos ihren Anteil hat, und zum anderern einer immer stärker sich verflachenden Kultur des Intellekts, im Dunstkreise von deren Daheinscheiden es salonfähig geworden ist, Anti-Intellektualität, mutwillige Ignoranz und Unwissenheit sowie Indifferenz gegenüber einer auf Evidenz beruhenden Faktenlage, als normal und cool zu empfinden und gar zur Tugend zu verklären. Dieses Desinteresse reduziert natürlich auch die Nachfrage nach wissenschaftlicher Berichterstattung, deren mangelnde Qualität - circulus vitiosus - wiederum kein neues Interesse anzufachen vermag und die Marktregulation vermöge der Einschaltquoten tut dann für die Programmgestaltung ihr übriges. Hinzu kommt, jedenfalls meine ich, das beobachten zu können, eine stetig abnehmende allgemeine Fähigkeit und Bereitschaft zu kritischem Denken und Skeptizismus wofür in gleichem Maße die Neigung zu magischem Denken und die Vulnerabilität für esoterische Phänomenologie zuzunehmen scheint.
Die aktuell sich verschlechternde Impfmoral wäre damit nur ein Symptom dieses komplexen und äußerst bedenklichen Grundproblems und in der Tat finden sich in der heutigen (Populär-)Kultur zahlreiche andere Beispiele von einerseits Gut- und Wundergläubigkeit und andererseits esoterisch motivierter Wissenschaftsskepsis, die auf den oben beschriebenen Komplex von Wechselwirkungen zurückzuführen sind. Man führe sich als Beispiele hierfür den großen Zuspruch der Astrologie, Wahrsagerei, Homöopathie und diverser anderer mystischer New-Age-Folklore vor Augen.

Diese Problematik hat letzthin den Boden bereitet für eine paranoiden und völlig absurden Entwicklung: der offizielle Grund, aus dem nun viele Menschen ihren Kindern Impfungen, insbesondere die Kombinationsimpfung gegen Masern, Mumps und Röteln, vorenthalten, lautet tatsächlich, daß sie befürchten, diese Impfungen riefen Autismus hervor. Der Auslöser hierfür war eine 1998 zwar in der renommierten Zeitschrift "The Lancet" veröffentlichte aber bereits 2004 von den Mitautoren zurückgezogene Studie, die vorgab diesen Zusammenhang an 12 Kindern aufgezeigt zu haben. (Die Arbeit war zurückgezogen worden, nachdem bekannt geworden war, daß der Hauptautor, Andrew Wakefield, die Daten gefälscht und dafür Geld von Anwälten, die Eltern von von Autismus betroffenen Kinder vertraten, erhalten hatte.) Es gibt demnach absolut keinerlei wissenschaftliche Evidenz für einen Zusammenhang zwischen Impfstoffen und der Enstehung von Autismus, im Gegenteil, es wurde das Nicht-Bestehen eines Zusammenhangs in zahlreichen unabhängigen Arbeiten immer wieder gezeigt. Dennoch ermöglicht es die allgemeine wissenschaftsskeptische und sensationslüserne Unkultur, vor dem Hintergrund der oben geschilderten Grundproblematik, daß sich solcher Unfug wie eine Infektion, gegen die es leider keinen Impfstoff außer Bildung gibt, verbreitet, trotz ihrer hundertfachen, eindeutigen Widerlegung hartnäckig persistiert und mittlerweile dazu geführt hat, eine neue und aus rationaler Sicht vollständig absurde und noch dazu gefährliche und leider ja bereits mit ersten Todesopfern "prämierte" Impfskepsis hervorzurufen, die den Kampf gegen beispielsweise die Masern und den Versuch, auch diese Krankheit, die in seltenen, nun aber schon wieder häufiger beobachteten Fällen lebensbedrohende Komplikationen (Roald Dahl schildert, wie seine Tochter daran starb) entwickeln kann, zu eradizieren, weit zurückwerfen.

Ich finde es irgendwie ironisch, daß die ebenfalls verpönte und mißtrauisch beäugte Aneignung und Ausübung einer wissenschaftlichen und evidenzbasierten Weltsicht gewissermaßen genau die "Impfung" darstellt, die die Menschen immun gegen all diesen Humbug machen und ihnen all den Schaden und das Leid, das ihnen geschieht, wenn sie sich darauf einlassen, ersparen würde. Ich schließe daher ein wenig resigniert mit einem Zitat Roald Dahls, der seine Tochter an eine Krankheit verlor, die heute vielleicht schon ausgerottet sein könnte, wenn wir nicht in einer Zeit leben würden, in der sich schon wieder erste Anzeichen der Abklärung, des "Wiedereingangs in die selbstverschuldete Unmündigkeit" schmerzhaft bemerkbar machen:
"It really is almost a crime to allow your child to go unimmunised"
(Deutsch: "Es ist wirklich fast ein Verbrechen, zu dulden, daß das eigene Kind nicht geimpft ist.")

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Trauriger Nachtrag: 7o Kinder in Zimbabwe sind vollkommen sinnlos und vermeidbar an den Masern gestorben. Bezeichnenderweise stammten die Kinder aus apostolischen Sekten, die Imfpungen aus Glaubensgründen ablehnen! Wie viele müssen noch sterben, bis endlich etwas unternommen wird? Religion fördert und schätzt Ignoranz und Ignoranz tötet.

Nicht überraschender Nachtrag: Wie sich nun herausgestellt hat,  war die Studie von Andrew Wakefield nicht nur minderwertig und handwerklich schlecht, sondern glatter Betrug! Wer noch immer diese Studie heranzieht, um Impfskepsis zu begründen, sollte bestraft werden!

2 Kommentare:

  1. Zwei Sachen dazu:

    1.) Bald rollt eine Impfwelle gegen das böse H1N1-Virus auf uns zu. Eine Mixtur von einem Wirkstoff, zu dem jede wirkliche wissenschaftliche Evidenz fehlt, da sie durch Labore geprügelt wurde um sie uns verkaufen zu können. Schlimmer noch: Niemand weiß ob sie wirklich nutzt, da sie nur an das H1N1-Virus "angelehnt" wurde und nicht in der kürze der Zeit ein wirkliches Antigen geschaffen werden kann...

    2.) Grundsätzlich ist eine Impfung immer zu begrüßen!
    Ein wichtiger Faktor wurde nämlich vergessen und zwar den sozialen Faktor. Denn: Hätte man, den in den 70er Jahren aufkommenden Regelimpfungen bei Jungen und Mädchen identisch gehalten, so wären damals auch die Jungen gegen Röteln geimpft worden und diese Krankheit wäre somit in Europa nahezu ausgerottet worden. So konnte der Virus im "männlichen Wirten" prima überleben und wir schlagen uns heute noch mit Röteln rum...

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  2. Bin mit beiden Punkten einverstanden.
    ad 1) hier scheint der öffentliche Druck den Prozess unziemlich beschleunigt zu haben (wenngleich für dringende Impfstoffe tatsächlich andere Zulassungsregeln gelten). Wie für alle Medikamente muß natürlich auch für Impfmittel gelten, daß vor der Zulassung Evidenz für Wirksamkeit und Sicherheit zu erbringen ist

    ad 2) ganz genau. Dies ist exakt die epidemiologische (und nicht nur dem Individuum dienende) Notwendigkeitskomponente, die ich für die Impfung in Anspruch nahm. Sich impfen schützt nicht nur einen selbst, sondern auch andere vor Ansteckung.

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