Freitag, 8. Mai 2009

Es ist nur Wasser!

Kaum existiert das Blog eineinhalb Monate, schon erscheint der zweite Eintrag! Ob ich dieses Tempo durchhalte?
Etwas, das mich schon lange beschäftigt und das in Art und Irrationalität des Zuspruchs vollkommen an eine Religion erinnert, ist die Homöopathie. Diese, nennen wir sie, Philosophie, deren Essenz und namengebendes Prinzip ist, daß "ähnliches ähnliches heile", wurde 1796 vom deutschen Arzt Samuel Hahnemann begründet. Hahnemanns Idee war es, Kranken Substanzen in stark verdünnter Form zu verabreichen, die bei Gesunden die Symptome hervorrufen würden, unter denen der zu behandelnde Kranke leidet. Die Verdünnungsprozedur spielt dabei in der Homöopathie eine bedeutende Rolle, da sie in der Vorstellung der Homoöpathen zwar die unerwünschten Nebenwirkungen des Diluens vermindert, die erwünschten Wirkungen hingegen verstärkt oder "potenziert" (wie der Verdünnungsprozess zwischen erwünscht und unerwünscht unterscheidet, ist nicht überliefert). Aus diesem Grund nennen Homöopathen die Verdünnungen auch Potenzen und zwar entspricht die Potenz D1 einer 1:10-fachen Verdünnung des reinen Wirkstoffs. Wenn aus dieser Verdünnung ein zehnter Teil (z.B. 1 ml von 10 ml) entnommen und mit 9 ml eines neutralen Lösemittels wie Wasser gemischt wird, entsteht chemisch gesehen eine 1:10 Verdünnung einer 1:10 Verdünnung, also eine 1:100 Verdünnung. Dies nennen Homöopathen Potenz D2. D3 entspricht also einer 1:1000 Verdünnung, D4 einer 1:10.000 Verdünnung usw. Die Homöopathen glauben weiterhin, daß ihre spezielle rituelle Art des "Verschüttelns" der Verdünnungen notwendig für die Erzeugung und den Erhalt der Wirkpotenz sei. Eine übliche homöopathische Potenz ist z.B. D23, eine 1: 1 Trilliarde Verdünnung. Dies entspricht in etwa dem Verdünnungsgrad, den man erhalten würde, wenn man einen Tropfen einer reinen Wirkstofflösung ins Mittelmeer geben, kräftig "verschütteln" und dann wieder einen Tropfen entnehmen würde. Pharmakologisch bewegt sich eine solche Verdünnung, wenn sie überhaupt ein einziges Wirkstoffmolekül enthält, äußerst weit von jeder noch so geringen Wirksamkeit. Natürlich, da ist den Homöopathen zuzustimmen, hat diese Verdünnung auch keinerlei Nebenwirkungen, weswegen sich homöopathische Präparate tatsächlich sehr schonend ausnehmen.
Was ist denn nun das Problem mit der Homöopathie?
Ich sehe zwei grundlegende Probleme, wobei das zweite nur mittelbar mit der Homoöpathie zu tun hat, aber dennoch auf sie anwendbar ist.
Das erste und grundlegende Problem ist, daß es für das Wirkprinzip keine wissenschaftliche Erklärung und für die Wirksamkeit keine valide, d.h. unter doppelt verblindeter, randomisierter Testung mehrfach reproduzierte Evidenz gibt.
Auch Homöopathen ist bewußt, daß ihre Potenzierung chemisch eine Verdünnung ist, sie wissen also, daß ihre Tinkturen kaum wenn überhaupt Wirkstoffmoleküle enthalten. Sie erklären die vermeintliche Wirksamkeit ihrer Produkte damit, daß in der unverdünnten Lösung der Wirkstoff seine Eigenschaften dem Wasser "aufgeprägt" habe - so wie ein Gipsabdruck einer Hand bestehen bleibt, wenn die Hand längst wieder weggenommen wurde, soll das "Wassergedächtnis" diese Aufprägung behalten und muß sie theoretisch auch dem Wasser, das bei den Verdünnungen hinzukommt, weitergeben, da sonst das "geprägte Wasser" selbst wie ein Wirkstoff zu verstehen und bei Potenzen wie D23 bis zur Unauffindbarkeit verdünnt wäre. Das in hohen Potenzen vorliegende, geprägte Wasser soll dann den heilsamen Effekt herbeiführen. Nichts davon, weder die "Prägung" von Wassermolekülverbänden noch die "Weitergabe" solcher Formen an "ungeprägtes" Wasser noch irgendeine Wirkung von reinem Wasser auf den Körper, abgesehen von den bekannten, konnte je von der Naturwissenschaft nachgewiesen werden, ja, es würde den grundlegenden und millionenfach bestätigten Erkenntnissen über die Chemie und Physik des Wassers sogar krass zuwiderlaufen. Hinzu kommt, daß Hahnemann zu Lebzeiten bereits Krankheitsbildern begegnete, denen er mit homöopathischen Mitteln nicht beikommen konnte, die wissenschaftliche gesprochen also durch den reinen Placeboeffekt nicht zu heilen waren. Für diese sog. "chronischen Krankheiten" erfand er die ihnen angeblich zugrundeliegenden "Ur-Übel" oder Miasmen, die er in völlig willkürliche und nach heutiger Sicht unsinnige Katergorien einteilte. Hahnemann bewegte sich dabei auf dem ziemlich unwissenschaftlichen Stand der Medizin des 19. Jahrhunderts - dem massiven Erkenntiszuwachs der Schulmedizin, der die "Keimtheorie" für Infektionskrankheiten einschließt, zum Trotz werden Hahnemanns Ideen noch heute der "modernen" Homöopathie zugrundegelegt.
Damit verhält sich die Homöopathie zur evidenzbasierten sog. "Schulmedizin" wie die Astrologie zur Astronomie. Auch die Astrologie geht von unbewiesenen Prämissen aus, baut darauf ein "Lehrgebäude" auf und zieht Schlüsse, die den Anspruch erheben, eine Entsprechung in der Realität zu haben. Diese Ergebnisse hielten der Überprüfung durch doppelblinde Studien, genau wie bei der Homöopathie, noch in keinem Fall stand.
Homöopathie-Befürworter versuchen daraufhin meist, den Vorwurf der mangelnden Evidenz durch Anekdoten oder Geschichten über angebliche Studien in XYZ zu entkräften, doch wenn man diese Studien zu sehen verlangt oder selber nachprüft, ergibt sich stets, daß sie methodisch unzureichend oder gefälscht sind. Die Homöopathie muß somit als reine Pseudowissenschaft ohne reales Korrelat aufgefasst und alle ihr zugeschriebenen und anekdotisch berichteten Wirkungen dem Placeboeffekt zugerechnet werden.

Das zweite Problem ist die objektiv gesehen völlig unverständliche Akzeptanz, mehr noch der begeisterte Zuspruch, den die Homöopathie auch im Jahr 2009 erfährt. Das ist natürlich kein homöopathiespezifisches Phänomen sondern der allgemeinen wissenschaftlichen Unbildung der Bevölkerung, die sie außerstande setzt, zu verstehen, warum Homöopathie nicht funktionieren kann, sowie einer sich durch die althergebrachte Religionsausübung gewohnt anfühlenden Gutgläubigkeit, der Bereitschaft also, Behauptungen zu glauben, wenn nur die Ernsthaftigkeit ihres Vortrages, gepaart mit rituellen Arabesken die für ihre Begründung eigentlich notwendige Evidenz ersetzen, verschuldet. Natürlich, die Homöopathie, die sich gegen die "große" Schulmedizin wie David gegen Goliath behaupten muß, von der es keine Schreckensmeldungen über Nebenwirkungen gibt, die sich den Anstrich der zugewandten, „ganzheitlichen (was immer das sein soll) Naturmedizin“ gibt, wo man sich lange, interessiert und ausführlich mit einem Patienten befasst, ist in diesem Konflikt der Sympathieträger. Die behemothische Schulmedizin, die vielen Leiden ebenfalls hilflos gegenübersteht und sich allzuhäufig im Umgang mit Patienten auf den unpersönlichen Abwurf von Erzeugnissen der Pharmaindustrie auf diese beschränkt und in ihrem Beharren auf Wirknachweis und darlegbares Wirkprinzip verstockt und unflexibel wirkt, wird mit Mißtrauen und Ablehnung betrachtet. Das gilt natürlich ganz besonders bei „Leiden“, die keine echte organische Ursache haben, sondern psychisch bedingt sind und sich dann irgendwann somatisch Bahn brechen. Und mit „Leiden“ meine ich keine echten psychischen Leiden wie Schizophrenie oder Depression, welche medikamentös sehr gut zu behandeln sind, sondern, eben, „Leiden“. Das Leiden am Dasein, das Alleinsein, das Gefühl der Unzulänglichkeit und und und… Da nützen keine Pillen, keine Impfungen und Antibiotika, da nützt tatsächlich der einzige Wirkstoff, den die Homöopathie hat: Zeit. Und die Behandlung heißt „Betüdelung“ und hier wirkt sie und sie befreit manche Menschen von enormem Leidensdruck.

Die meisten Menschen sind jedoch vernünftig genug und kehren, wenn sie oder ihre Angehörigen wirklich krank werden, reumütig zur ’bösen’ Schulmedizin zurück, wo man ihnen Antibiotika statt verdünnte Bakterien gegen schwere Infektionen gibt und ihnen den kurz vor dem Platzen stehenden Blinddarm herausnimmt, statt sich in einem langen Gespräch ein „ganzheitliches“ Bild von deren „Lebenskraft“ zu machen. Ich sagte: die meisten Menschen. Wenn man dem Trug der Homöopathie vollständig erliegt oder aber vollständig und rückhaltlos in einer esoterischen Geisteswelt abgetaucht ist, kommt es zum Unglück: dann werden auch ernste, „echte“ Krankheiten nur mit Wasser und Betüdelung zu behandeln versucht und dann sterben Menschen. Es ist keine zwei Wochen her, daß zwei Leute, die leider und offenbar an erster Stelle überzeugte Homöopathen und dann erst Eltern waren, ihr Kind auf grauenhafte Weise sterben ließen.

Ich bin in einem Zwiespalt: wenn diese Leute wirklich und wahrhaftig geglaubt haben, das beste für ihr Kind zu tun, haben sie ja eigentlich nicht schuldhaft gehandelt. Andererseits hätten sie wissen können und müssen, daß ihr geschütteltes Wasser ihr Kind nicht retten kann. Das Problem an dieser Stelle ist: kann man den Vernunftgebrauch gesetzlich vorschreiben? Wenn ja, hätten die Eltern ihre Vernunft gebrauchen, erkennen, daß Wasser und ein Placeboeffekt nicht gegen den lebensbedrohlichen Zustand ihres Kindes hilft und ihm eine durch Evidenz gestütze Therapie, die es sicher gerettet hätte, zukommen lassen müssen. Wenn aber der Vernunftgebrauch gesetzlich vorgeschrieben wäre, würde dieses Gesetz direkt mit Artikel 4 des Grundgesetzes kollidieren, der eben gerade jedem die Freiheit zugesteht, die Vernunft zu Gunsten irrationaler Annahmen ruhen zu lassen.
Es stimmt mich melancholisch, daß hier ein unausräumbares Dilemma vorliegt: schafft man Artikel 4 ab, wird es Kriege und Tote geben, weil die Menschen nicht vernünftig sind und es auch nicht sein wollen. Behält man ihn, bleibt es dabei, daß Unvernunft und mutwillige Irrationalität, sowie deren ritualisierte Proliferation geduldet und geschützt wird, daß also eine Geisteshaltung unter Grundrechtschutz gestellt wird, die eine evidenzbasierte, vernunftorientierte Weltsicht häufig verstellt, was, wie wir sehen, auch im Jahr 2009, Menschenleben kostet. Das Dilemma läßt sich also zugespitzt als einen Widerspruch zweier Menschenrechte auffassen: das Recht auf freie Religionsausübung (egal ob man Homöopathie, die wie oben dargelegt alle Kriterien einer Religion erfüllt, als Beispiel dafür heranzieht oder den islamischen oder christlichen Exorzismus, der ebenfalls, anstelle echter Medizin zur Heilung Kranker auch heute noch angewandt wird) in einigen Fällen nicht mit dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu vereinbaren.
Die Frage, welches Menschenrecht schwerer wiegt, kann ich für mich klar beantworten: das Recht auf Leben!

Hier noch ein Comic, der es gut zusammenfasst:
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Literatur:
Maddox J, Randi J, Stewart WW.Nature. 1988 Jul 28;334(6180):287-91.
"High-dilution" experiments a delusion.

Hektoen L. Vet Rec. 2005 Aug 20;157(8):224-9.
Review of the current involvement of homeopathy in veterinary practice and research.

Shang A, Huwiler-Müntener K, Nartey L, Jüni P, Dörig S, Sterne JA, Pewsner D, Egger M. Lancet. 2005 Aug 27-Sep 2;366(9487):726-32.
Are the clinical effects of homoeopathy placebo effects? Comparative study of placebo-controlled trials of homoeopathy and allopathy.

Cowan ML, Bruner BD, Huse N, Dwyer JR, Chugh B, Nibbering ET, Elsaesser T, Miller RJ.Nature. 2005 Mar 10;434(7030):199-202.
Ultrafast memory loss and energy redistribution in the hydrogen bond network of liquid H2O.

Baum M, Ernst E. Am J Med. 2009 Nov;122(11):973-4.
Should we maintain an open mind about homeopathy?

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Nachtrag: Die o.g. Eltern, die ihr Kind sterben ließen, weil sie ihm eine wirksame Behandlung zu Gunsten von homöopathischen Wässerchen vorenthielten, sind nun wegen Totschlags zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt worden.

3 Kommentare:

  1. Hi Corn,
    sehr interessant, leider ein bischen lang fuer mich, so lange kann ich mich leider nicht auf einen in deutsch geschriebenen text konzentrieren...
    Also hier was ich von homeopatie halte:
    es ist geil ! wenn es reicht das leute ein kruemel zucker einnehmen um sie zu heilen (dank des placebo effect) was kann man dazu sagen ?! schade das es mit mir nicht functioniert, dafur freue ich mich aber immer sehr auf ein stueck schokolade !

    bis die Tage (auf Mars?)

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  2. Themenverwandt: ich habe mich gerade mit meiner Mutter unterhalten, die unlängst einen Behandlungsbericht eines Heilpraktikers in die Hände bekommen hat. Der hat eine schwer kranke ("austherapierte") Patientin auf eine Magnetresonanzplatte gelegt und auf Löffeln mit ihr rumgekloppt. Und ihr dafür viel Geld abgenommen. Mit Erfolg: Der Patientin geht es _noch_ beschissener als vorher. *facepalm - Unfaßbar!

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  3. Edit: Natürlich mit Löffeln auf ihr rumgekloppt :)

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